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Schule in Indien

Wie ist Schule in Indien? Diese Frage reist schon die ganze Zeit mit. Auffällig im Straßenbild ist zunächst einmal, dass indische Schüler:innen eine Schuluniform tragen, egal, ob sie zu öffentlichen oder privaten Schulen gehen.

Was noch? Die Schulbusse sind in Indien gelb. Chorischen Sprechen schein hier zum Schulalltag zu gehören, so tönt es aus den Schulhäusern.

Mein erster Schulbesuch kam unverhofft. Gestern. Bei einem Ausflug mit dem Motorrad. Am Ende eines nicht mehr gepflasterten Weges durch ein Dorf war nur noch ein großes Tor. Auf dem Schild stand, dass es sich um eine Schule handelt.

Während ich davor stehe, kommt vom Hof eine Frau auf mich zu, offen lächelnd: „Good morning, welcome, come in, come in.“ Da sie mehr Worte auf Englisch nicht wusste, rief sie eine Kollegin herbei, die sich als Leena, Englischlehrerin in der Schule vorstellte. Ich erzählte ihr, dass ich Kunstlehrerin in Deutschland sei und großes Interesse hätte, eine indische Schule kennen zu lernen. „Come“, sagte sie und führte uns durch alle 8 Klassen dieser kleinen Dorfschule.

Üblich ist, dass die Kinder vor dem Klassenraum die Schuhe ausziehen, und dann sitzen sie entweder am Boden oder auf niedrigen Bänken, zwischen 20 und 30 Kinder sind in einer Klasse.

In jedem Klassenzimmer wurden wir von den Schüler:innen begrüßt, indem sie aufstanden und im Chor so etwas sagten wie: „guten Tag“ und dazu mit den Händen ein großes O formten.

Leela, Englischlehrerin

Leela zeigt uns auch noch das Schulgelände, zu den acht Klassen gehört ebenfalls ein Gebäude mit zwei Kindergartengruppen. Sie findet es den schönsten Ort für eine Schule in ganz Rajastan.

Für die etwa 240 Kinder sind elf Lehrerinnen und ein Lehrer verantwortlich. Das Schwierigste ist, dass Schüler:innen und Lehrer:innen regelmäßig zum Unterricht kommen.

Die Lehrer:innen werden vom Staat schlecht bezahlt, da fehlt dann gelegentlich die Arbeitsmotivation…

Und die Schüler:innen? Leena erzählt, dass sie manchmal morgens in die Familien gehe, um die Kinder zur Schule abzuholen. Die Familien auf dem umliegenden Land seien so arm und auf die Mithilfe der Kinder bei der Feldarbeit angewiesen, das ist dann wichtiger als Schule.

Während wir auf dem Schulhof stehen, kommen weitere Kolleginnen von Leela dazu und sprechen über ihren Schulalltag.

Dass an dieser Schule jeden Morgen Milch für jedes Kind ausgegeben wird und mittags eine warme Mahlzeit. Allein das Essen ist für manche Eltern ein Grund, die Kinder doch zur Schule zu schicken.

Die Schulpflicht in Indien besteht erst seit 2009 für alle Kinder von 6 – 14 Jahren. Der Staat übernimmt für diese Schule auch die Kosten für Lernmaterialien und die Schuluniform.

Zum Abschluss gibt es noch ein Gruppenbild, dann geht die Schule weiter.

Ungefähr 96 % aller Kinder werden heute in Indien eingeschult, allerdings besuchen im Alter von 10 Jahren nur noch 60 % von ihnen die Schule. 40 % werden zu so genannten „Drop-outs“. Zwischen der 3. und 8. Klasse ist der Anteil der Schulabbrecher:innen besonders hoch. In ganz Indien gilt oft noch, dass Kinder arbeiten und zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen müssen. Häufig können Eltern den finanziellen Aufwand für den Besuch weiterführender staatlicher Schulen nicht tragen.

Und: viele Eltern arbeiten hart, um ihren Kindern eine bessere Bildung zukommen zu lassen. In kinderreichen Familien wird die Schulbildung der Mädchen häufig noch für die Ausbildung der Jungen „geopfert“, da in traditionellen Familien für Mädchen sowieso später Aufgaben als Hausfrau und Mutter vorgesehen sind und ihre Mitgift schon teuer genug ist.

(Offiziell ist also weder vorgesehen noch erlaubt, dass unter 14jährige Kinder der Schule fernbleiben, noch dass Mädchen unter 18 von den Eltern verheiratet werden oder dass überhaupt für die Braut eine Mitgift von den Eltern an die Familie des Bräutigams gezahlt werden muss. Passiert aber alles andauernd.)

Da die Zustände an den staatlichen Schulen oft katastrophal sind, was Schulgebäude, Klassengrößen (Teilweise 60 Schüler:innen) und Lernmöglichkeiten anbelangt, versuchen alle, die genügend Geld haben oder zusammenbringen können, ihre Kinder auf privaten Schulen unterzubringen.

Im Gegenzug durfte ich auch ein paar Fragen stellen und war überrascht, dass sie an ihrer Schule einen künstlerischen Schwerpunkt hatten und eine Schülerin mir auf dem Handy Bilder zeigen konnte, die sie im Kunstunterricht gemacht hatte. Welch schöner Zufall!

Und dann sieht die Situation ganz anders aus.

Klar wurde mir das, als Schüler:innen mich in Pushkar auf der Straße ansprachen und um ein Interview baten. Sie waren im Rahmen eines Projektes in der zwölften Klasse vor Ort, um Interviews zur Stadt-Geographie zu machen. Ihre Fragen konnten sie sowohl auf Hindi als auch auf Englisch formulieren und hatten somit eine große Bandbreite, um mit jedermann ins Gespräch zu kommen.

Befragt nach ihren Berufs- und Studienvorstellungen, hatten fast alle ein konkretes Ziel: zwei von ihnen wollten Psychologie studieren, eine Jura, einer Bildhauerei, nur eine Schülerin wusste noch nicht ganz genau, wohin die Reise gehen sollte.

Immer wieder erlebe ich Indien als Land von Extremen, das gilt auch für das Schulsystem. Es gibt engagierte Lehrerinnen und welche, die eben einfach nicht zum Unterricht auftauchen. Es gibt staatliche Förderprojekte für benachteiligte Schulen und jede Menge Korruption im Bildungswesen, indem Schmiergelder bezahlt werden für die Gründung von privaten Colleges, die dann gegen hohe Studiengebühren Bescheinigungen über die Lehrbefugnis ausstellen.

Von einer guten Bildung für alle ist das Land noch weit entfernt.

Mittagessen

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