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Holy, holy…

… so heißt das Fotoalbum, in dem ich seit Beginn unserer Reise Bilder von heiligen Orten und Momenten sammle, wobei Heiliges hier überall und andauernd stattfindet – nur ganz anders als ich es kenne.

Selbst hier im Süden, am arabischen Meer, mitten in der Natur gibt es morgens um sechs Gesang in beachtlicher Lautstärke aus irgendeinem Tempel in der Nähe, der sich mit der Kakophonie der erwachenden Tierwelt zu einem Weckruf der ganz eigenen Art vermischt.

Vermutlich ist die hinduistische Götterwelt die am stärksten bevölkerte der großen Weltreligionen. In den Veden ist von 3306 verschiedenen Göttern und Göttinnen die Rede.

Okay, ich brauche ein wenig Orientierung und habe eine kleine Recherche gestartet. Falls du auch Lust auf göttliche Ordnung hast…

Am Anfang von allem ist im Hinduismus Brahman, die Weltenseele, die als formloses unpersönliches Konzept gesehen wird, als Ursprung des Universums und des Seins.

Das ist sehr abstrakt und so ist glücklicherweise die nächste Stufe konkreter und differenzierter: eine Trinität von obersten Göttern. Ja! Das klingt zunächst einmal vertraut für uns aus dem christlichen Kulturkreis, also so etwas wie Vater, Sohn und heiliger Geist könnte das werden, denke ich mir…

Tatsächlich finde ich das Zusammenspiel der „Trimurti“ viel umfassender als unsere christliche Dreieinigkeit. Es gibt Brahma, den Schöpfergott, Vishnu, den Bewahrer/ Erhalter und Shiva, den Gott, der Zerstörung und des Neubeginns.

Selbstverständlich haben alle drei umfangreiche Geschichten in ihrem göttlichen Sein erlebt und sind mit entsprechenden Erkennungszeichen ausgestattet, so dass jeder Gläubige sofort Bescheid weiß, wenn er einer von den Göttinnen in den Milliarden von Abbildungen und Skulpturen begegnet.

Shiva mit Dreizack und Schlange, Bangalore

Die Götterwelt wird weiter bevölkert, weil diese drei Hauptgötter sich in weiteren Avataren inkarnieren können, die dann meist einzelne Qualitäten besonders stark ausgebildet haben. So kann Vishnu auch als Rama auftauchen, der das Ideal des Königs sowie des vollkommenen Ehemannes, Bruders und Sohnes verkörpert. Oder Vishnu wird zu Krishna, der besonders als spiritueller Lehrer und als Befreier gilt.

Selbstverständlich gehören zu den drei Trimurti-Göttern, auch die jeweiligen Göttinnen.

Während Brahma nur wenig verehrt wird, wenden sehr viele Hindus sich an seine Gattin Sarasvati, die Göttin der Weisheit, der Wissenschaft und Künste, wenn es um Unterstützung beim Lernen geht. Auch Schulen werden oft nach ihr benannt.

Lakshmi, die Frau von Vishnu ist die Göttin des Glücks und des Wohlstands. Man wendet sich bei finanziellen Problemen, beruflichen Themen und bei Ehe-Fragen an diese Göttin, die mütterlich aus geöffneten Händen jedem zuteil werden lässt, was er braucht.

Und dann ist da noch an Shivas Seite Parvati, Göttin für Schönheit, Liebe, Fruchtbarkeit und Energie. Von ihr gibt es auch zwei berühmte Inkarnationen, einmal die auf dem Tiger reitende Durga und die zornige Kali, die beide das Böse bekämpfen.

Parvati, 11. Jh.

Das ist jetzt nur eine sehr kleine Auswahl, bei der als letzter unbedingt noch Ganesha, der Elefantengott genannt werden sollte. Als Gott des Anfangs und als Hindernisvernichter bittet man ihn um Unterstützung, bevor man ein Unterfangen beginnt.

Ganesha

Ich finde es beeindruckend, wie allgegenwärtig diese Götterwelt im indischen Alltag anzutreffen ist; nicht nur in den großen Tempeln, sondern an Straßenecken, in kleinen oder größeren Schreinen, in Baumwurzeln und in jedem kleinen Laden gibt es einen Altar, der liebevoll mit Blumen, Räucherstäbchen und Öl-Lämpchen geschmückt ist.

Was mich aber immer wieder staunen lässt, ist die ganz alltäglich gelebte Verbindung zu den Göttinnen und Göttern: das kann ein „Namaste“ im Vorbeigehen sein, selbst mit dem Motorrad wird kurz vor dem Tempel oder einem Schrein angehalten, eine Verneigung vor der Gottheit, eine Bitte um den Reisesegen und weiter geht es. In jeder Garküche, und sei sie auch noch so klein, gibt es einen Altar, an dem morgens Räucherstäbchen angezündet und frische Blumen aufgelegt werden.

An dieser Stelle des Textes habe ich Unterstützung bekommen von der jungen Frau, die neben mir im Flugzeug saß und interessiert beobachtete, wie ich versuchte, eine Ordnung zu finden.

Sie erkundigte sich, ob ich gerade eine Forschung betreibe. Sie konnte wohl meine handschriftlichen Götternamen lesen.

Sie erzählte, dass es für die meisten Menschen in Indien ganz selbstverständlich sei, sich für die Angelegenheiten ihres Lebens an die entsprechenden Götter und Göttinnen zu wenden. Sie selbst habe Lakshmi um Unterstützung gebeten für ihre Bewerbung auf eine neue Stelle. Am 1. Januar wird sie in Bangalore in einem IT-Unternehmen anfangen können. Jetzt sei sie auf dem Weg nach Mumbai, um Lakshmi im Tempel zu danken.

Bei vielen Göttern und Göttinnen gibt es viel zu feiern. Immer für alle Sinne, expressiv und ausladend. Die zeitgenössischen Abbildungen und Skulpturen sind grellbunt, für unseren Geschmack geradezu kitschig. Dazu kommt das laute, scheppernde Läuten der Glocken, die schnellen Trommelrhythmen, die vom Band gespielten Gesänge und die intensiven Düfte der Räucherkerzen.

Falls hier jemand religiöse Andacht sucht…

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