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Tempelnachmittag mit Kotztüte

An einem Nachmittag landen wir bei unserem Spaziergang durch Jaipur in einem weitläufigen Garten. Still ist es hier, als wäre die Stadt plötzlich verschwunden. Auf der Wiese im Kreis Karten spielende Männer und Affen. Ganze Horden.

Eine weitläufige Tempelanlage am Rande des Gartens. Die Menge der Schuhregale verrät, dass sie groß sein muss.

Wir betreten eine Halle, in der eine entspannte Atmosphäre herrscht. Zum ersten Mal seit ich in Indien bin ein Raum, in dem fast ausschließlich Frauen sind. Sie sitzen oder lagern gemütlich in Gruppen am Boden, plaudern, ruhen, zeigen sich gegenseitig ihre Einkäufe. Einige wenige auf Stühlen. Sieht so aus, als würde hier irgendwann eine Veranstaltung stattfinden.

Ein junger dürrer Mann geht mehrfach zu den Frauengruppen und will, dass sie aufstehen und sich auf die Stühle setzen. Warum das sein soll? Sie lächeln ihn amüsiert an, aber es rührt sich keine. Der junge Mann holt einen dicken Priester dazu, der versucht Kraft seiner Autorität mehr zu bewirken, löst bei den Frauen aber auch nur die Frage aus, wozu sie umziehen sollen. Ein Mann vom Wachpersonal wird eingeschaltet, auch dessen Autorität scheint nur zeitverzögert zu wirken. Irgendwann bequemen sich die Frauen aufzustehen, sind aber deutlich verärgert über diese sinnlose Verlagerung. Wir nicken ihnen zu, sie erklären uns weitläufig auf hindi, wie unsinnig dieser Vorgang ist und wir versuchen immerhin gemeinsam mit ihnen ein Lachen darüber zu finden.

Dabei rege ich mich innerlich total auf. Jetzt einmal die Kotztüte aufhalten: Was mache ich eigentlich in diesem Land? Hier ist endlich mal ein Raum, in dem kaum Männer sind, aber die wenigen müssen gleich ihre Macht demonstrieren. Überhaupt sind die Männer hier so dominant im öffentlichen Raum. Immer steht irgendwo jemand in der Ecke und pisst, dreht sich um und hat den Hosenstall noch nicht mal zu. Ich will das nicht sehen! Andauernd müssen Eier gekratzt und geschaukelt werden. Das ganze aggressive lautstarke Gerotze und Gehupe auf der Straße, die drängelnden Motorräder in den engsten Gassen und dann die Gewalt gegen Frauen. Jede sechste Inderin hat Gewalterfahrungen gemacht, meist innerhalb der Familie. Im letzten Jahr wurden täglich 90 Vergewaltigungen gemeldet, man geht davon aus, dass die Dunkelziffer höher ist, weil längst nicht alle Frauen eine Anzeige wagen. Es lohnt sich in Indien auch nicht, denn meistens gibt es keine Verurteilung!!!

Es sieht noch nach einem verdammt langen Weg aus, bis die meisten Frauen in Indien ihren Vorstellungen von einem eigenen Leben selbstverständlich folgen können.

Hier im Tempel machen jetzt rechts neben der Bühne Musiker ihre Instrumente startklar und es gibt den gleichmäßigen Rhythmus von einem schellenartig klingenden Instrument, dann kommen Tablas dazu.

Irgendwann inszenieren Priester in gelben Gewändern mit großen Gesten ihren Auftritt, unter ihnen auch der, der offensichtlich der Boss ist, weil er sich auf den erhöhten Platz mitten auf der Bühne hinsetzt.

Zu dem rhythmischen Klingeln und den Tablas kommen jetzt noch das Harmonium mit seinem unendlich durchlaufenden Klang und eine Flöte dazu. Man kann nicht vom Beginn eines Konzertes oder einer religiösen Feier sprechen, es ist eher ein sanftes Hineingleiten, bei dem die Frauen weiter plaudern, auch dann noch, als der Ober-Priester anfängt zu singen…

Einige fotografieren das Geschehen auf der Bühne…. andere hören zu, schließen die Augen…. erst als die Musik doppelt so schnell wird, steigen die Frauen klatschend in den Trance induzierenden Rhythmus ein und lauschen endlich alle dem Mann auf dem Podest.

Mal wieder.

Wie lange noch?

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