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Weben, wabern oder wie weiter?

Wenn ich in den letzten Tagen und Wochen die Nachrichten aus der Welt verfolge, fühlt es sich an wie die zunehmende Erschütterung eines sicher geglaubten Bodens, auf dem ich mich bisher bewegt habe.
Ein gewählter altbekannter alter Mann stampft erneut seine Macht aus, versetzt demokratische Systeme in Schockstarre, schürt Polarisierungen und Unsicherheiten im gesellschaftlichen Gewebe.
Grenzverletzungen, Gräben, Löcher und Chaos. Und er ist weltweit in guter Gesellschaft anderer alter Männer.

Was mir langsam klar wird:
wenn ich aus dem Sabbatical zurückkehre, bin nicht ich es, die möglicherweise verändert ist, sondern vielmehr wird die Welt, in die ich komme, eine andere sein. Im Kleinen wie im Großen.

Ich bereite mich darauf vor. Ich versuche es.

Ich erlaube mir, unsere Welt als ein großes, komplexes Gewebe des Lebendigen wahrzunehmen.
Als eine unendliche, immer wieder neue Verbindungen schaffende, schöpferische Bewegung.
Auf allen Ebenen: von den neuronalen Netzen bis zum Bindegewebe. Ich erinnere mich an die kunstvollen Nester der Webervögel und an das soziale Gewebe von menschlichen Gemeinschaften.

Hier in Laos bewundere ich die Kunst des Webens. Diese Stoffe, deren Farben und Muster Erzählungen von der Welt sind. Und alles hat darin Platz: die kosmischen Zusammenhänge in Form der mystischen Nagas, die Sterne und die Krabben, dazu die Webtradition der jeweiligen Ethnie und schließlich noch die individuelle Webkunst der jeweiligen Schöpferin. Man sagt, wenn man ein Tuch aus Laos in der Hand hält, kann man anhand der Webart zurückverfolgen, aus welchem Dorf es stammt und welche Frau es gewebt hat.

Webstücke aus verschiedenen ethnischen Gruppen in Laos

In den indigenen Gemeinschaften spiegeln Farben, Muster und Schnitt der gewebten Kleidung auch die Position der sie tragenden Person im sozialen Gewebe. So war es lange. Bis Jeans und Jogginghose dazu kamen.

Was trägt in einer Gesellschaft? Was verbindet? Wo ist Abgrenzung notwendig? Persönlich und politisch sogar manchmal unumgänglich?
Viele Fragen, die wie lose Fadenenden in mir hängen. Keine vorschnellen Verknüpfungen!

Ich lerne weben. Back to the roots. Eines der ältesten Handwerke der Menschheit. Zwei Tage sitze ich in der Webwerkstatt und schiebe das Schiffchen mit dem Seidenfaden hin und her. Versuche in einen Rhythmus zu kommen, Hände, Füße, Atem, Bewegung.

Zu viel Denken bringt Durcheinander in den Prozess.

Manchmal reißt mir der Geduldsfaden, manchmal ein Kettfaden. Das sind die langen Fäden, die auf den Webstuhl gespannt sind. Dann muss die Webmeisterin kommen und ein neues Fadenstück einknoten – an genau der richtigen Stelle. Die ich nicht erkenne.

Wie ist das mit den Fäden im sozialen Gewebe? Wenn zu viele durcheinander geraten? Wenn Schlaufen, Knoten oder Lücken entstehen?

Eine Weile webe ich unaufmerksam und produziere Schlingen an der Webkante. Was sagt die Meisterin? „Die ganzen Reihen wieder lösen, eine nach der anderen. Den Faden auf die Spule rollen und nochmal beginnen.“
Klar, was sonst.
Wie mühsam das ist. Es braucht Zeit und Geduld. Mehr noch: Zuversicht.

Könnte das bei uns auch so gehen, wenn wir uns verheddert haben? Wir Menschen. Wenn es Gespinste gibt? Gerissene Fäden…

Ich webe weiter. Von links nach rechts, von rechts nach links, ohne diese Bewegung entsteht kein Stoff. Die Kraft der Mitte ist gefragt, wenn mit dem Weberkamm der neue Faden an den schon gewebten Stoff geschoben wird.

Schließlich ist mein Schal 1,60 m lang. Die Ordnung und das Prinzip der sich hebenden und senkenden Fäden zu verstehen, tut gut.

Zufällig im Netz gefunden:
Im Survival-Kontext kann das Weben den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Ein gut gewebter Unterschlupf kann dich vor rauen Wetterbedingungen schützen und ein gewebter Korb kann dir helfen, Nahrung und Wasser zu sammeln. (www.survival-kompass.de)

Stimmt, es ist ja nicht immer nur der Stoff, aus dem die Träume sind.
Vielleicht sind wir schon mitten im Survival-Kontext gelandet?

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