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Das doppelte Ankommen

Es geht über die Pyrenäen runter in meine zweite Heimat. Diesmal nach Céret und Toulouse, einige Tage mit Freunden in Paris.

Meine Mutter hat in den frühen 50er mehrere Jahre in Paris gelebt. Als Kind habe ich ihre Erzählungen aus dieser Zeit geliebt: Edith Piaf und Charles Aznavour live im „Olympia“, Brigitte Bardot mit Lockenwicklern beim Bäcker nebenan… Es gibt ein Foto meiner Mutter aus dieser Zeit, im Petticoat auf den Champs-Elysées.

Ich bin mit französischer Küche aufgewachsen, dem einfachen Rotwein zum Mittagessen und so, in den 60ern, in Bremen-Huchting, in einer „Neuen-Heimat-Siedlung“ wie man damals sagte. Mein Eltern waren Flüchtlinge und hatten sich über eine Zeitungsannonce gefunden: „Flüchtling sucht Flüchtlingin“. Eine neue Heimat, 68 Quadratmeter, endlich. Flüchtlinge unter vielen Flüchtlingen in einer Siedlung bei Bremen, mit einem Hauch von Savoir-Vivre und Vertrautheit mit dem Klang der französischen Sprache.

In den 70er haben meine Mutter und ich mehrfach zusammen Frankreich besucht, ihre Freunde in Paris und vor allem im Jura:

Erinnerungen: Auf der Rückbank eines DS, von Besançon nach Paris. Draußen ist es noch dunkel. Es gab frisches Baguette (so gut wie aus der legendären Szene in „Diva“) natürlich mit rohem Schinken und Salzbutter. Es roch im Auto nach dem Roger&Gallet meiner Mutter und dem Baguette. Einer der Gerüche meiner Kindheit, die ich bis heute abrufen kann.

Der Klang der Sprache vorne im Auto, bei Sonnenaufgang. Wie sich die Scheinwerfer des DS in die Kurven drehen, diese Federung wie auf dem Sofa im Wohnzimmer meiner Eltern. Neben mir Aline, in die ich verliebt war. Unsere Kniee berühren sich in den Kurven und das Jura hat zum Glück viele.

Mein Franche-Comté: Große Essenstafeln auf dem Feld, im Sommer, 20 Gäste und mehr, aus dem Nachbardorf, Verwandte, Freunde. Und ich durfte mit dem R5 die Forellen aus dem Ofen heranfahren. Überhaupt ging es ständig ums Essen im Franche-Comté, im Val de Cusance: Trüffel suchen, Forellen mit der Hand fangen, Cancoillotte, Froschschenkel, Rinderhoden…

Und dann in den 80ern: Klassenfahrten, Schüleraustausche nach Nantes, Agen, in die Pyrenäen und an die Seine. Mein Freund Peter und ich haben uns in die Kuppel der Sacré-Coeur geschlichen und eine Zigarette geraucht, während über Paris die Sonne unterging.

Und schließlich erstmals auch alleine los, nach Paris. Anna und Claude hatten ein Haus auf dem Hügel von Villejuif mit Blick über die Stadt. Claude war Vertreter bei Thomson und kannte jede Ecke in Paris. Oft sind wir gemeinsam durch Paris gecruist, haben die besten Austern gekauft, in den vielen Les Halles zu Mittag gegessen und waren erst abends zurück. Ich war überwältigt von der eleganten Schönheit der Pariserinnen mit meinen 16 Jahren. Claude hat mir gezeigt, wie man in Paris selbstbewusst über die Straßen geht, solange bis ich es konnte, was war ich stolz. Das geheimnisvolle Pigalle.

Dann Leistungskurs Französisch. Studium in Avignon.

In Avignon habe ich die Réunion zu Hause erlebt. Erlebt wie die französischen Studierenden die Wiedervereinigung gefeiert haben, während ich in dem ganzen Trubel, als einziger Deutscher an der Fakultät, noch Verhalten unsicher in der Ecke stand. Wie die ersten DDR-Bürgerinnen in ihren Trabbis im Luberon ankamen und in unserer Wohnung in Avignon übernachtet haben.

Dann mit dem alten Kadett zum Brandenburger Tor, Silvester 89/90 und gleich wieder zurück. Wir wollten unbedingt mal kurz nah dran sein.

Mit Sandra, und Levin im Bauch, in Cuceron und immer wieder mit der Familie in die großartige Auvergne. In den letzten Jahren haben wir Marseille entdeckt und Lyon.

Es ist vertraut und sehr schön, in Frankreich anzukommen, am Ende unserer Reise, dort Freunde zu treffen und sich zu erzählen.

Von Paris ging es dann weiter an den Timmendorfer Strand zur JazzBaltica. Und jetzt sitze ich hier in einem Strandkorb und schreibe diese letzten Zeilen. Die üblichen Strandgeräusche, das Plok-Plok vom Beachball, die Möwen, die Seebrücke, es riecht nach Sonnenöl und Fischbrötchen, dem Plastik des Strandkorbes. Wie bei Tati.

Heute Abend dann das Finale unserer Reise: Vincent Ségal, Ballaké Sissoko, Émile Parisien und Vincent Peirani in concert. Und später gleiten wir durch die Nacht nach Bremen.

Ein wunderbarer Bogen war das, von Kalkutta, Bodhgaya, Patna, über Jaipur, Pushkar, Udaipur, Kerala, Kochi, Pondicherry, Hanoi, Trang An, Hôi An, Luang Prabang, Ventiane, Kyoto, Wien, Torralba de Ribota nach Céret, Toulouse, Paris bis zum Timmendorfer Strand.

Keine Minute möchte ich missen, mit Dir. Danke Bi. In Liebe.