Im Frühstücksraum unsere Homestays hängen Bilder mit den Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Darunter auch ein sehr schöner Turm. „You should see the belltower“, sagt unsere Lady. Das wollen wir. Eine Tagestour mit Rädern durch die herrliche Trang An Gegend.
Tho gibt den Tourguide, wir fahren meist auf kleinen Straßen, gelegentlich Schotterwege, durch Dörfer und Weiler. Die Sonne scheint, Plastikplanen werden von den Reisschößlingen abgenommen, die Frauen stehen im nassen Feld und setzen den Reis. Eine friedliche Welt, hier und heute.
Wir nähern uns dem Ziel, der Turm ist schon weithin sichtbar, irgendwann gelangen wir zu der Mauer, die das ganze Gebiet umgibt, große beeindruckende Tore, die aber alle geschlossen sind… Wo ist denn der Eingang? Was ist das überhaupt für ein Gelände?
Wir kommen als Ahnungslose, vorbereitende Lektüre hat nicht stattgefunden. Also bleibt nur Staunen. Und da gibt es viel.
Im Dorf neben dem Gelände weist uns jemand den Weg zum Eingang. Ein riesiges Tor mit Wachmann. Als Radfahrer:innen werden wir von ihm so durchgewunken.
Und dann sind wir verloren. Breite Straßen, gesäumt von frisch angelegten Mauern, dazwischen Beete mit kürzlich gesetzten Bäumen, ein riesiges Gelände ohne Hinweisschilder zu nichts.
Wir versuchen irgendeinen Weg, werden von einem weiteren Wachmann in eine andere Richtung geschickt und gelangen schließlich zu einigen Gebäuden, die sich als Tickethalle entpuppen.
Es gibt unterschiedliche Varianten, zuerst schien mir das Ticket „The peaceful way“ ausreichend, aber eine Dame am Tickeschalter erklärte mir, dass der Besuch des Glockenturms darin nicht enthalten sei, also dann doch besser das Ticket „Touching The Soul“.
Ab jetzt schien der Weg vorgegeben, erst an allen Verkaufsständen vorbei, dann zum Drehkreuz, an dem ein Angestellter für uns das Ticket auf das Lesegerät hielt, einsteigen in den gelben Elektrowagen und schon ging’s los über den nagelneuen, riesigen und vollkommen leeren Parkplatz von Bai Dinh, so heißt der buddhistische Komplex, den wir nun also besuchen würden.
Die Luftbildaufnahme von google zeigt nicht nur die Größe der Parkplatzanlage, sondern auch, dass man mit der Radialstruktur an royale Stadtplanungen anknüpft, nur dass hier das Zentrum nicht der Herrscherpalast, sondern eine Bushaltestelle ist.
Es heißt, im Winter kämen nur die hartgesottenen Touristen in diese Gegend. Was für ein Glück für uns. So können wir immer mal wieder Wege in Stille durch das Gelände gehen. Es gibt herrlich viele Bodhi-Bäume (genau dieselben wie in Indien in Bodhgaya), dazwischen kunstvolle Pagoden und Tempel. Alles in Großformat, viel Grün. Es sind 500 Hektar, lese ich mich hinterher schlau.
Wir bestaunen eine unendlich erscheinende Reihe von Statuen mit ganz unterschiedlichen Haltungen und Gesichtsausdrücken. Die etwa 2m hohen unpolierten Figuren scheinen nicht alt, auch wenn einige Partien durch Berührungen schon glatt glänzen.
Und dann stellen wir fest, dass der Glockenturm gar nicht der ist, den wir auf dem Bild im Homestay dafür gehalten haben. Dennoch ein beeindruckendes Gebäude, das eine riesige Bronzeglocke beherbergt. Sie wird mit einem mehrere Meter langen Holzstamm zum Klingen gebracht. Leider nicht von uns. Den Klang hätte ich gerne gehört.
Es geht weiter den Berg hinauf. Banyan-Bäume mit Wurzelsträhnen, Bodhi-Bäume, überall große Schalen mit Bonsai-Bäumen, alles unfassbar gepflegt, geordnet.
Oben steht die berühmte Pagode, 13 Etagen, aus Backstein gemauert.
Auch wenn sie schon Patina hat, das Gebäude wurde erst 2003 gebaut und hat entsprechende hochmoderne Fahrstühle, die uns geräuschlos in den 12. Stock zu den Buddhas bringen.
Von dem umlaufenden Balkon im 13. Stock sieht man dann, wie weitläufig das ganze Gelände ist und dass es wohl das größte buddhistische Zentrum in Vietnam sein wird.
Was wir während des ganzen Besuches und auch auf dem Rückweg garnicht sehen, sind Gläubige, Mönche oder Nonnen. Es fehlt das konzentrierte Feld meditierender Menschen wie in Bodhgaya und so spüren nur den Hauch einer leeren Stille und den Willen, hier etwas Großes hinzustellen.
In der nachträglichen Recherche wird klar, dass die ursprüngliche Bai Dinh Pagode schon vor fast 1000 errichtet wurde. Diese alte Pagode hatte eine bescheidene Größe. Sie wurde als ein wichtiger religiöser Ort für buddhistische Gläubige genutzt, allerdings durch die Jahrhunderte auch beschädigt und zu klein für die Menge der Pilger.
Daher haben die vietnamesische Regierung und die buddhistische Gemeinschaft 2003 beschlossen, einen neuen Wallfahrtsort zu bauen, der 2010 fertig gestellt wurde.
Es sollte wohl ein Ort der Superlative werden – das jedenfalls ist gelungen. Es ist nicht nur die größte buddhistische Anlage in ganz Südostasien (539 Hektar), sie hat die größte Anzahl an Bodhi-Bäumen in Vietnam (100), den längsten Korridor (3km) mit Arhat-Statuen (so heißen die 500 Buddhastatuen mit den verschiedenen Gesten/Mimiken), die schwerste Bronzeglocke (36t), die größte vergoldete Budhha-Statue u.s.w.
Es gibt jedes Jahr große Feste, zu denen wohl viele anreisen.
Ohne praktizierende Menschen bleibt Bai Dinh ein Wunsch ohne Leben.
Hallo Uwe, ich vermute weniger Großzügigkeit des Staates, sondern geplanten Massentourismus, der nur noch nicht so eingetreten ist.
Was für eine Geschichte. So ganz ohne Gläubige oder MönInnen wirkt das von hier aus (Bremen;-) wie ein buddhistisches Disneyland in schön. Ich glaube aber zu spüren, dass dieser Trip für euch ein eindrucksvolles und bewegendes Erlebnis war. Also wohl ein lohnenswerter Besuch.
Ich habe gelesen, dass 70 % der Vietnamesen keiner Religion angehören. 12 % der buddhistischen. Das der „kommunistische“ Staat diesen 12 % ermöglicht so einen imposanten Wallfahrtsort zu erbauen finde ich erstaunlich. Spricht für ihn, oder?
Namaste – Uwe