
Kein Stoff fasziniert mich so sehr wie Seide. Während meiner Ausbildung zur Schneiderin habe ich am liebsten Hemden und Blusen aus diesem Material genäht. Seide fühlt sich speziell an, sie hat einen „kostbaren Griff“, würde ich sagen, einen ganz eigenen Klang – das Rascheln von Seide – und auch einen besonderen Duft, wenn man sie bügelt (einen Gruß an meine Freundinnen aus der Schulzeit in der Schneiderei, ihr erinnert euch sicher daran).
In Hoi An gibt es eine lange Seiden-Herstellungsgeschichte. Vielleicht nicht die knapp 5000 Jahre, auf die China zurückblicken kann, aber immerhin wird hier seit 300 Jahren Seide produziert. Und dazu braucht man eine ganze Menge.
Zu allerersteinmal natürlich die Seidenraupen, vielmehr deren Kokons. Und da die Seidenspinner nur Maulbeerbaumblätter fressen, natürlich auch die Kultur der entsprechenden Bäume. 20’000 Raupen fressen rund 500 bis 600 kg Maulbeerblätter. Dafür sind 125 Maulbeerbäume notwendig.

Im „Silk Village“ in Hoi An, das früher ein Handwerkerdorf war und heute zu einem Museum geworden ist, können wir den Weg von der Larve zum gewebten Stoff verfolgen.

Anmerkung am Rande: heute ist der zweite Tag von Tet und viele Vietnames:innen finden auch, dass dies eine gute Gelegenheit für einen Museumsbesuch ist. Wir nehmen an einer Führung teil und haben das Vergnügen, zwei vietnamesische, chinesische oder taiwanesische Familien (das können wir nicht so genau erkennen) mit vier durchgeknallten Kindern und digital abwesenden oder sonstwie hilflosen Eltern in unserer Gruppe zu haben. Unsere kompetente Führerin hat also alle Hände voll zu tun, zweisprachig zu erläutern und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass alle Raupen, Fäden und Gerätschaften am Ende noch dort sind, wo sie sein sollen.
Aber zurück zum Seidenspinnerzyklus:

Der graugelbe Nachtschmetterling legt etwa 200-800 Eier. Nach zehn Tagen schlüpfen die kleinen Larven, die winzigen Tierchen wiegen gerade einmal 0,45 mg und sind 2 – 3mm lang… und dann geht das große Fressen los…
Im musealen Kontext bekommen die kleinen Seidenspinner die Maulbeerbaumblätter sogar geschnitten serviert. Wenn man genau hinschaut, kann man sie sehen.


Nach vier Wochen und insgesamt vier Häutungen hat die Raupe das 40.000-fache ihres ursprünglichen Gewichts gefuttert. Jetzt ist sie ungefähr fingerdick. Die Verwandlung kann beginnen. Bei unseren Museumsraupen kann man das Seidengespinst schon sehen, auf dem Teller liegt auch schon ein Kokon bereit.
Beeindruckend finde ich die Produktion dieses Kokons. Die Seidenraupe hat unterhalb ihres Mauls vier Drüsen, zwei davon produzieren den bis zu 1000 m langen Seidenfaden, die anderen beiden einen Kleber, so dass durch die Kopfbewegung der Seidenraupe in einer Acht der Kokon sich langsam um ihren Körper herum legt und gleichzeitig verklebt.


Dann ruht die Larve, und die Verwandlung zum Schmetterling, beginnt unsichtbar und ist nach 18 Tagen vollendet. Der Schmetterling produziert ein Lösungssekret, beißt den Kokon durch, ist bereit für die Paarung, um neue Eier zu legen und eine weitere Runde im Zyklus zu eröffnen.
Aber: Von einem durchgebissenen Kokon lässt sich der Faden nicht mehr in einem Stück abwickeln, deswegen werden die Kokons nach zehn Tagen in heißes Wasser gelegt, die Larven sterben dabei. Eine tierschonende Methode wurde bislang noch nicht entwickelt.

Es werden jeweils acht bis zehn Fäden von den Kokons zusammengehaspelt, d. h. sie bilden einen einzigen Seidenfaden. Bis zu 1000m kann der Faden pro Kokon lang sein. Für die Produktion von einem Kilo Rohseide werden durchschnittlich 10 – 11 kg Kokons benötigt.




Jetzt muss die aufgegewickelte Seide „entbastet“ werden, d.h. sie wird in Seifenlauge gekocht. Je nachdem wie dick der Seidenfaden ist und wie lange die Seide gekocht wird, bekommt man ganz unterschiedliche Seidenqualitäten, die wir natürlich alle berühren durften.

Dann ging’s in die Weberei.
Meine Handarbeitskollegin Insa kann sich vermutlich am besten vorstellen, wie viel Arbeit es ist, für diese 60 cm breite Stoffbahn die Seidenkettfäden aufzuziehen. Unsere Führerin sagt, zwei Personen bräuchten etwa 3-4 Tage dafür.



Am meisten fasziniert hat mich die indigene Webtradition, in der vor allem komplexe Musterbänder mit verschiedenen Farben gearbeitet werden.
Durch das Auf- und Abschieben der Steine mit den daran gebunden Fäden entsteht das Muster. In dieser Handwebkunst lernen die Weberinnen die Muster durch Überlieferung im Tun.
Zum Abschluss unseres Rundgangs wurde uns noch gezeigt, wie man herausfindet, ob man es mit reiner Seide oder mit einem Acrylgewebe zu tun hat.
Unsere Führerin steht am Kopfende eines Tisches, hält ein Stück Seide an ein Feuerzeug. Die Brennprobe ergibt drei Aspekte, auf die man achten muss:
Seide brennt nicht, es riecht nach verbranntem Haar, die Asche lässt sich fein zerreiben.
Bei Acryl schmilzt der Stoff, es riecht nach Plastik, und es gibt einen verklebten Rand, aber keine Asche.
Falls man im Geschäft unsicher sei, aus welchem Material ein Stoff bestehe, solle man die Verkäuferin bitten, ebenfalls eine Brennprobe durchzuführen, empfiehlt unsere Führerin. An ihrem eigenen Kleid zeigt sie, welche Stelle vom Saum in der Regel dafür geeignet sei.
Und damit entlässt sie uns in die Verkaufsräume, es gibt hier vom Seidentuch über den Schlips bis hin zu Kleid und Morgenmantel alles aus Seide, und es ist ein farbiges Fest für meine Augen und ein Genuss, mit den Händen, die verschiedenen Qualitäten der Seide zu fühlen.



Liebe Sabine, mit großem Interesse lese ich deinen Reiseblog und bin begeistert von Vietnam. Die vielen schönen Farben, die Eindrücke der Straßen und Menschen…..danke dass ich an deiner Reise teilhaben kann. Liebe Grüße an dich und auch an Thorsten,
Monika