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Die Ankunft des Chips und der Weg

Die Sonne scheint, es ist fast heiß. Vögel, die drei namenlosen Katzen, der alte Hund „Alba“, blauer Himmel.

Bi sitzt in ihrem orangenen und ich in meinem blauen Campingstuhl, die wir bei Al Campo in der Stadt gekauft haben. Aus den Stühlen kann man auch kleine Liegen machen. Dazu Chips und Erdbeeren, ein Bitter Kas mit Zitrone. Ich döse, Bi denkt.

Wir sitzen vor unserer Haustür in der Calle Fuente 11, Torralba de Ribota, Region Saragossa, Aragón, Spanien.

Im Dorf ist es wie immer still, bis auf das Vogelkonzert, alle 15 Minuten die Turmuhr, aus der einzigen Bar im Ort hört man ganz, ganz weit hinten den Fernseher, Fußball. Um 12 Uhr mittags ist es hier wie in „12 Uhr mittags“, auch mit den Pflanzenkugeln, die sich vom Wind angetrieben durch die Gassen kugeln. Ihr wisst schon.

Die Schwalben zischen manchmal durch unsere Gasse und jagen sich.

Wir beobachten aus unseren Campingstühlen träge und wortlos eine Ameise, wie sie neben uns das Stück eines Chips huckepack nimmt und sich auf den Weg zum Nest macht. Sie kreuzt vor uns die Gasse und beginnt den „langen“ Aufstieg die Wand hoch. Auf halbem Wege bekommt sie Unterstützung von zwei Kolleginnen, die mit anpacken. Das Stück Chips ist auch ganz schön groß. Die Drei wuchten den Chips immer weiter nach oben bis zum Eingang des Nestes. Jetzt, fasziniert von diesem Kraftakt, beobachten wir, wie die mittlerweile fünf Kolleginnen den Chips nach mehreren Versuchen elegant und hochkant in den Eingang des Nestes in der Mauer bugsieren. Unser Eindruck ist, dass die beiden Ameisen bei ihrer Ankunft ganz schön gefeiert werden.

Die enge kurze Gasse endet vor unserem Haus und gleichzeitig beginnt von hier, vor unserer Haustür, der Weg nach Aniñón, dem Nachbarort, rund 4 km entfernt.

Diesen Weg nach Aniñón gehen wir oft, zu zweit, alleine. Auch unser Besuch musste mit, Annemieke und Ben.
Fast täglich, morgens, mittags oder nachts….. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück.

Nach unserer Reise durch Süd-, Ost-, und Südostasien hat sich unser Radius hier sehr verkleinert, das ist schön. Der Weg nach Aniñón ist Teil unserer kleinen Welt im weiten leeren Spanien.

Bi erfasst die Pflanzenarten am Wegesrand: „Guck mal, das sind doch neue, die hatten wir auch noch nicht. Das ist die „Karotte des Todes“, für Tiere tödlich“. 150 verschiedene Pflanzen sind es, am Wegesrand nach Aniñón und um Torralba.

Wir grüßen den Bauern auf seinem John Deere 3640 aus den 80ern, seine Kollegen, die zu den Mandel-, Kirsch-, Oliven- und Weinfeldern unterwegs sind. Man grüßt sich immer hier, man winkt den Menschen auf den Feldern.

Wir haben das Wachsen der Früchte und Reben am Weg über zwei Monate begleitet, seit den ersten Frühlingstagen kurz nach der Mandelblüte. Erst jetzt, zwei Monate später, wird es heiß, manchmal zu heiß. Bi klaut jetzt auf dem Rückweg die ersten reifen Kirschen. Die Mandeln sind dick und prall, drinnen wächst die Frucht heran. Die Feigen sind bald soweit.

Wir kennen und lieben den Wein hier, dessen Trauben am Weg wachsen und der zum DOP Calatyud gehört, mit seinen 16 Bodegas.

Wir kennen den Kuchen aus Mandeln von hier und die hiesigen köstlichen schwarzen Oliven.

Wir wissen, dass die Schafe gegen halb 8 von den Hütehunden ins Dorf getrieben werden. Die drei Hunde, die uns immer an zwei Stellen des Weges anbellen, das Waschhaus am Ortseingang, wo die Weidenäste gewässert werden.

Seit uns auf dem Weg ein Gewitter überrascht hat, kennen wir auch die Angst vor Blitzen, die um uns einschlagen, während wir auf dem Handy suchen, wie wir uns am besten verhalten, so mitten im heftigsten Donnern und Blitzen, wir Outdoorfreaks.

Und ich leide an einer Ophidiophobie, jepp. Ausgerechnet, wenn ich alleine unterwegs bin, dann begegnen ich ihnen, den Schlangen, die den Weg kreuzen. Dicke große, sehr große, unglaublich große und so kleine flinke, linke….Jeder Gang nach Aniñón ist seit der ersten Begegnung also auch eine Konfrontationstherapie für mich, eine Desensibilisierung.

Nur vom zweiten Hügel aus, sehen wir auf dem Weg die Kirchtürme von beiden Dörfern, den von Torralba de Ribota und den von Aniñón.

Ab hier wird der Wind oft weniger, weil es runter nach Aniñón geht, grüßend vorbei an dem alten Mann, der immer seinen Garten bestellt, an der „Schlangenstelle“ bei den Kirschbäumen und dem großen Jesuskreuz.

Und manchmal kreisen kurz vor Aniñón über 30 Falken und Milane über unseren Köpfen und schnappen sich die unaufmerksamen Kaninchen.

Das Nachbardorf Aniñón hat über 600 Einwohner:innen, ist fest in sozialdemokratischer Hand.

Es hat eine Bäckerei mit einem Café (an dessen drei Tischen sitzen immer die älteren Damen, die beige Haarsprayfraktion), eine Fleischerei, einen Tabacco, einen Tante-Emma-Laden namens „Super Nipi“, von zwei Schwestern betrieben. Hier gibt es einen guten Serrano-Schinken und fünf verschiedene Sorten Chorizo.

Zwei! Bankfilialen haben wöchentlich ein paar Stunden auf, Spanier:innen lieben ihre Bankfilialen. Eine Apotheke, eine Grundschule.

Am Campo de Fútbol Municipal „Barranquillos“ de Aniñón trifft sich Sonntags das Dorf zum Spiel, mit allem Pipapo, einem Stadionsprecher und Musikeinspielung nach jedem Tor, fehlt nur das Nebelhorn.

Eine kleine Autowerkstatt, ein Familienbetrieb. Die Söhne haben stolz für 20 Euro unseren alten Saab wieder fit gemacht, dessen Vorderachse bedrohlich wackelte.

Im Zentrum von allem aber liegt das „Café Navarro“, knapp zehn Tische auf dem Plaza Mayor, drinnen der Tresen und weitere fünf Tische. Auch hier ein Tisch am Fenster, an dem jeden Tag fünf Frauen sitzen (die moderne und jüngere Fraktion). Im „Café Navarro“ ist immer was los. Es immer laut, weil die Dinge leidenschaftlich besprochen werden müssen. Ein ständiges Kommen und Gehen. Gar nicht hygge, sondern neonbeleuchtet. Da sind wir immer. Hier sind wir die zwei „los alemanes“, die beiden einzigen Touristen, die Hipster.

Weiter oben im Dorf, bei der Kirche, liegt die „Cantina Lifara“. Das Essen dort ist wirklich nicht besonders gut, aber wir mögen den Ort und die Wirtin. Anfänglich sehr spröde, ist sie uns mittlerweile ans Herz gewachsen. Eine schöne Frau.

Die Karte haben wir mittlerweile durch, von „Schnecken auf Schweinefüsse“ (gar nicht gut), über „Pilzrisotto (gut), Entrecôte (manchmal zäh) und dem köstlichen „Salat Lifara“… Das Menu del Dia kostet 22 Euro, drei Gänge, eine Flasche Wein, eine Flasche Wasser und einen „Selbstgemachten“ zum Abschluß. Oft sind wir die einzigen Gäste oder wir sind schon weg, wenn hier um 21:30 Uhr die Leute zum Abendessen kommen.

Und der Wein ist gut, immer, hier in der Weinregion Calatayud. Das Glas roter „Albada“, von den Feldern nebenan, kostet im „Lifara“ einen Euro.

Die „Cantina“ hat auch drei Tische draußen, auf einem Platz mit Olivenbäumen, direkt neben der Kirche. Wie überall in den Dörfern im leeren Spanien, stehen viele Häuser zum Verkauf. Auch hier auf dem kleinen Platz in Aniñón, für zehntausend Euro, gleich nebenan das nächste. Hm.

Und dann gehen wir zurück, auch mal im Mondschein, von Aniñón nach Torralba, mit einem Freund telefonierend, nach einem guten Wein, einem Essen, genau eine Stunde bis zu unserer kleinen Gasse. Ein sehr feines, kleines Leben hier im leeren Spanien.