Heute ist der letzte Tag unserer gemeinsamen Sabbatical-Reise. In Kolkata gestartet, schließen wir mit der Jazz Baltica am Timmendorfer Strand ab. Größer kann die Spannweite kaum sein.
Jetzt noch einmal aufs Ganze schauen. Und Puzzlestückchen einsammeln. Das, was ich von hier aus schon sehen kann.
Reisen, ein spezifischer Modus.
Ich erinnere mich. An früher. Da bedeutete Reisen vor allen Dingen das Aufbrechen, das Losziehen, die Neugier auf das Unbekannte, so stark, dass gar keine Zeit für ein Ankommen blieb, weil es immer schon weiter ging, in das nächste Abenteuer.
Und bei dieser Reise? Der Anfang in Kolkata war zunächst einmal von allem viel! Farben, Gerüche, Geräusche, Menschenmassen, Reichtum und Armut. Faszination und Überforderung, fremd sein und langsam herausfinden, wie Leben hier geht.
Und dann immer wieder von vorne dieses Spiel: von fremd in vertraut umwandeln. Jedes neue Zimmer. Die Straße. Das Viertel. Den Ort.

Ankommen. Das Hotelzimmer betreten. Der Blick aus dem Fenster. Den Platz für den Rucksack finden. Einen Tisch oder Nachttisch, sofern überhaupt vorhanden, mit Skizzenheft, Stift und I-Pad ausstatten, die Bettseiten aufteilen. Und sich später, beim zweiten oder dritten Zurückkehren darauf freuen, dass dieser Raum unser Zuhause ist.

An manchen Orten nach wenigen Stunden das Gefühl angekommen zu sein. Woanders reichen Tage nicht dafür.
Verbundenheit ist nicht machbar. Nicht auf Abruf zu haben.
Wiederholungen helfen.
Oft ist uns zeitgleich klar: das ist es! Die Leute aus dem Viertel sitzen dort. Das erste Restaurant oder Café, das wir entdecken ist der Ort, an den wir zurückkehren. Oft.

Das Allerschönste: Mit Tho reisen!
Ich bin schon vor unserer Reise davon ausgegangen, dass uns das gut gelingt. Aber dass es dann wirklich so leicht und genussvoll geworden ist. Herrlich! Selbst in stressigen Situationen hat uns der Humor nicht verlassen. Nicht auf der Suche nach der richtigen Abfahrtsstation des Busses, nicht nach 27 Stunden Fahrt mit dieser Rostbeule und ebenfalls nicht nach 70 km Fahrradtour.
Auch wenn wir auf der selben Route unterwegs sind, sehen wir oft ganz verschiedene Welten. Beispiel Vietnam:
Tho: die Vietnamesen spielen viel Badminton.
Bi: die Webmuster der Röcke sind total unterschiedlich.
Tho: Noch nie habe ich in einer Stadt so viele Maybachs gesehen wie in Hanoi.
Bi: Die Häuser haben hier alle Satteldächer.
Tho: Die Frauen, vor allem die älteren, sind so selbstbewusst, sie schauen einem in die Augen.
Bi: der Boddhi-Baum verliert gerade Blätter, wahrscheinlich ist für ihn Herbst.
In dieser Mischung kommt immer eine breite Palette zusammen.
In Abständen die sich wiederholende Erfahrung: Es geht nicht, immer mehr aufzunehmen. Die bunte Welt bleibt außen vor. Innen eine Leere. Dazwischen Lücke. Mal erholsam, mal lost in translation.


Malen und zeichnen hilft. Oder lesen. Am allerbesten, wenn der Mann mir vorliest. Durch Romane oder Erzählungen von Autor:innen aus den jeweiligen Ländern sind wir noch mal anders eingetaucht, langsamer und intimer.



Überrascht bin ich von meiner bisher so nicht gekannten Freude am Fotografieren. Es ist auch eine Hilfe gegen die Überforderung meiner Wahrnehmung. Einen Fokus zu haben, ordnet, was ich sehe, macht es gewissermaßen überschaubar durch die Eingrenzung. Vor allen Dingen, wenn es sich zu einer Sammlung auswächst. Mit manchen kann ich nicht wieder aufhören: Stühle, Kreis oder das Runde und Besen.


Menschen faszinieren mich. Auch wenn es riesige Unterschiede gibt zwischen einem Leben in einer indischen Millionenstadt oder einem spanischen Dorf mit weniger als 100 Einwohner:innen, sind diese zutiefst menschlichen Grundkonstanten das Wesentliche: das Aufwachsen und Altern, die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, das Zusammenkommen für ein gemeinsames Essen oder für Feste.









Aber auch: egal in welchem Land wir sind, fast jeder Mensch – egal ob arm oder reich, jung oder alt – besitzt ein Handy.


Was noch überall da ist:
Die Erde. Und der Staub als ungebundene Erde. Staub als noch nicht zuzementierte Erde. Staub, der aufgewirbelt wird von Autos, Mopeds, Rikschas. Staub, der in jede Ritze drängt. Staub, aus dem wir Menschen sind und zu dem wir werden. Und Staub, der immer und immer wieder von uns weggefegt wird.

Den Staub gab es überall auf unserer Reise, und das Fegen auch. Es hat sich eingenistet in meine Klangerinnerung, die unendlichen Varianten eines streichenden, rhythmisch sich wiederholenden Geräusches. In Vientiane konnte ich von unserem Dach den Mönchen vom Tempel gegenüber täglich dabei zuschauen, wie sie die Blätter des Bodhibaumes zusammen fegten. Kaum fertig, kam der Nachmittagswind auf und in kürzester Zeit war der Boden wieder mit Blättern übersät.
Kann man den ewigen Kreislauf des Lebens besser erfahren als durch Fegen?
Den Bogen schließen.

Ein Gefühl von tiefer Dankbarkeit für diese reiche Zeit, für alle Inspirationen und Erfahrungen, für das Zusammensein und zusammen reisen.
Diesen Blog zu schreiben, war für uns beide ein wunderbarer roter Faden und eine große Freude in den letzten neun Monaten.
Dass du uns lesend begleitet hast, gehört auch dazu! Nandi- Gracias – Merci – Danke!