Schön an unserer Reise ist, dass wir viel Zeit und oft keinen getakteten Plan haben. Ich mag das sehr.
Kurz nach 12 Uhr trudeln wir mit dem Tuk-Tuk am Bahnhof Thiruvananthapuram North ein, dem zweitgrößten Bahnhof der Hauptstadt von Kerala. Also ganz im Süden von Indien.
Unser Zug fährt erst um 16:45 Uhr. Wir haben also sehr, sehr viel Zeit. Der Bahnhof ist fast leer, es ist recht schwül, die Tuk-Tuk-Fahrer machen ihre Mittagspause, die Züge stehen im Gleis, die Anzeigentafel ist ausgefallen und auch die Durchsage scheint nicht zu funktionieren. Nichts geht. Es hat was von „12 Uhr Mittags“. Es ist, kaum zu glauben in Indien, STILL! Wir hören ganz leise die Brandung des Meeres.
Vor dem Bahnhof gibt es Soda Lemon: eiskaltes Soda (nur im fortschrittlichen, kommunistisch regierten Kerala aus der Pfandflasche) mit einem Schuss Limette. Sehr lecker.
Bi schreibt an ihrer Reisenotiz über den Reis. Ich schlendere durch den Bahnhof.
In der Regel konkurrieren in Indien Millionen von jungen Bewerber:innen um schlecht bezahlte Stellen, die die Regierung anbietet, etwa bei der Eisenbahn. Jüngst haben sich zwölf Millionen Menschen auf 35.000 Stellen bei der indischen Eisenbahn beworben. Das ist das große Problem in Indien, die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen liegt bei 23 Prozent. 60 Millionen unter 25 Jahren sind arbeitslos und jeden Monat drängt etwa eine Million hinzu.
Hier auf dem Bahnhof bekommt man einen guten Eindruck über diese begehrten Jobs. Sehr viele staatliche Arbeitsplätze für diesen kleinen Bahnhof und wie so oft in Indien, kaum ausgelastet. Jobs ohne Beschäftigung.
Mittlerweile stehen an über 1.000 Bahnhöfen Verkaufstände von „One Station One Product“, natürlich mit dem Konterfei von Narendra Modi, dessen zunehmend hindinationalistische BJP hier in Kerala kaum gewählt wird. Angeboten werden regionale Produkte, wie Taschen, Becher, Schmuck und hier in Kerala die Besonderheit: Keramik-Enten. Eine Kampagne der indischen Zentralregierung in Dehli.
Die fast leere Bahnhofsgastronomie mit drei Mitarbeitern bewirbt ihr Angebot:
Die Plakate zu den Wahlen der Eisenbahnergewerkschaft wehen leicht im Lüftchen, das vom Meer rüber kommt.
Zwei von rund acht Ladies, die den Bahnhof putzen, schrubben das Bahngleis, um die vielen tiefen Löcher herum.
Und eine Beamtin des Booking Office schreibt die Wagenreihung an ein Whiteboard und später auch das Bahngleis.
Da ist unser: 16316, „Kochuveli-Mysuru-Express“, unsere Plätze in der Wagenklasse A1 befinden sich im Abschnitt 9.
Eine relaxte Atmosphäre also, ganz im Süden von Indien.
Dann mach es Bäm! Drei Busse mit aufgeregten Inderinnen erreichen den Eingang, gleichzeitig springt die Anzeigetafel wieder an und mit ihr die Durchsage. Eine plärrende automatisierte Frauenstimme kündigt nahezu in Dauerschleife die beiden einzigen abfahrenden Züge des Nachmittags an, dazwischen so laute Töne, damit wir ja nicht zur Ruhe kommen, die Bahnsteige füllen sich.
Die Frauen kommen aus Deoghar. Alle sind ganz hektisch. Das ist kein selbstverständliches eingeübtes Reisen, sondern aufregend, ungeübt und ungewohnt. Eine quirlige Reisegruppe.
Und wir verschwinden bald in unseren A1, der lange vor seiner Abfahrtszeit im Bahnsteig steht.