Monate: Oktober 2024

Musik & malen

Zum ersten Mal besitze ich Kopfhörer mit Rauschunterdrückung. Das ist der absolute Hauptgewinn, um immer wieder abtauchen zu können aus dem Lärm. Dann Musik, Stifte, Farben, ein Blatt und zur Abwechslung eine entspannende Form der Gleichzeitigkeit, wenn die Hände nichts anderes tun, als sich zu den Klängen und Rhythmen zu bewegen. Überhaupt, etwas entstehen lassen können, nicht zu wissen, wohin die Reise geht. In der Improvisation die Mischung zwischen Zufall und Absicht ausloten. Zwischen Bedeutung und Bedeutungsfreiheit das Spielfeld erkunden und sich überraschen lassen…. https://open.spotify.com/track/3EMmOgFgqAQtAR3QyV3imx?si=Uq-qnN8lRpeYHgaxWXdAtA https://open.spotify.com/track/5bYP0AOeCO9W40uVfTARGh?si=2dIJvBMOSd-pewM4p_eGNg https://open.spotify.com/track/3jhtHLG2oTrcG4mQMc46KQ?si=Zos9LD8vR-KlRBl6UMfkjw

AQI oder Wir kennen die Sonne nicht

In wenigen Tagen beginnt Diwali. Zu diesem mehrtägigen Fest gehört auch das „Böllern“, erste Feuerwerke explodieren bereits jetzt am Himmel. Schon der alltägliche Smog in Kolkata riecht wie bei uns der erste Januar in der Stadt. Und pünktlich zu Diwali ist die Luftverschmutzung wieder in vieler indischer Munde. In Delhi ist das „Böllern“ verboten. Wohl auch in Kolkata, wobei es illegale Quellen zu geben scheint. Damit sind wir bei AQI, dem Air Quality Index. Diese App gibt den aktuellen Grad der Luftverschmutzung an und ist in den Medien sehr präsent. In Kolkata liegt der Wert durch den Dauerregen gerade bei sehr guten 40. Zum Vergleich in Delhi bei 169, in Hamburg bei 19. Wie dramatisch sich die Luftverschmutzung in Indien entwickelt, zeigt der Film „Invisible Demons“ von Rahul Jain aus dem Jahr 2021 (auf MUBI). Darin erzählt ein junger Mann aus Delhi: „Wir kennen die Sonne nicht. Wir wissen nicht wo sie auf- und wo sie untergeht.“ Nachtrag: Am 27. Oktober liegt der Wert in Kolkata bei deutlich spürbaren 78 und in Delhi bei heftigen …

Srijanee Banerjee und Applaus

Mit der Metro in den Süden von Kalkutta. Aus dem überklimatisierten Zug hoch ins feucht-schwüle Getöse und Gedröhne. Eine sechsspurige Straße im dunklen Abendverkehr will erstmal überquert sein. Dazu an anderer Stelle mehr. Wir suchen die ITC Sangeet Research Academy. Europäer fallen in Kalkutta sehr auf und suchende noch viel mehr. „Are you looking for the ITC?“. Mitten im städtischen Chaos wird uns Hilfe angeboten. Der Mann führt uns zu einer kolonialen Villa, ein Park, der obligatorische Wachmann, eine Oase. Das ITC fördert seit den 70er Jahren die traditionelle hinduistische Musik. Der obligatorische Chai zur Begrüßung. Rund 40 eher jüngere Menschen finden sich ein zu zwei Konzerten. Die Begrüßung findet auf Englisch statt, weil „zwei ausländische Gäste“ im Raum sind. Zum ersten Konzert nur kurz: Alle sitzen, das Licht wird runter gedimmt, die letzten Gespräche klingen aus. Das Konzert könnte beginnen. Aus einem Seiteneingang tritt eine ältere Frau im Sari ein. Ein Raunen geht durch den Saal. Ein Raunen, das man nicht hört, aber sieht. Guru, die Meisterin oder die Lehrende. Verneigungen, Niederknien, ihre Füße …

„Dana“ kommt

Es regnet seid gestern immer wieder mal. Angesagt war nur Nieselregen, aber jetzt schüttet es und der Himmel ist so grau und dicht, dass ein Ende nicht absehbar scheint. Der „landfall“ des Zyklon „Dana“ ist für heute Abend oder Nacht angesagt, an der Küste bei Odisha, das ist 300 km von Kolkata entfernt. Jedenfalls wurden die Schulen vorsorglich von heute bis Sonntag geschlossen, Notunterkünfte an der Küste sind eingerichtet worden und die ersten Evakuierungen haben begonnen. Ab 18:00 Uhr wurden alle Flüge und sämtliche Zugverbindungen gestrichen. Inwieweit Kolkata betroffen sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen, aber auch hier werden die Generatoren an strategisch wichtigen Stellen aufgestellt, um die Stromversorgung im Katastrophenfall zu gewährleisten. Am schwersten wird es für die vielen in Kalkutta auf der Straße lebenden Menschen. Sie versuchen die Planen für ihre am Straßenrand notdürftig aufgebauten Unterstände fester zu spannen und mit Steinen am Boden zu fixieren. In der Nacht war es noch recht ruhig, heute fallen die Wassermassen, die den Zyklon „Dana“ begleiten vom Himmel – voraussichtlich für zwei Tage. Blick …

Sari, Kurti und Konsorten

Bewegungen, Körpersprache und Kleidung der Frauen und Männer kann ich noch nicht lesen… Nur dass die Frauen hier schön sind, ist nicht zu übersehen, und dass sie sich wundervoll kleiden, herrliche Farben und Muster, die miteinander harmonieren. In einen Sari gekleidet, strahlt der Gang der Frauen eine Würde aus. Die 4 – 6 m Stoff umhüllen den Körper oft kunstvoll gewickelt und lassen die Bewegungen fließend wirken. Welche Zugehörigkeit – sozial oder kulturell – darin verborgen ist, wüsste ich zu gerne! Diese Stoffe, Muster, Schnitte und die Verarbeitung erzählen Geschichten… National Geographic sagt dazu: der Sari sei seit gut 5000 Jahren das älteste in Asien verbreitete Kleidungsstück. Vor allem eines, das von keiner Nadel berührt wurde, das heißt, es besitzt keine Nähte. Es gibt über 30 regionale Sari-Varianten aus Seide, Baumwolle und Leinen und unzählige Möglichkeiten, ihn anzulegen. Und dann gibt es noch die viel häufiger im Straßenbild sichtbare Kurti, eine Tunika, mit Hose und übergeworfenem Schal, das scheint eine etwas modernere Variante der Bekleidung für Frauen zu sein. Und gelegentlich gerne mit Schirm dabei, …

Dunkel

An jeder größeren Straße reihen sich in unserem Viertel die Verkaufsstände aneinander. An der Häuserseite sind kleine Geschäfte, an der Strassenseite liegen die Waren oftmals auf dem Boden oder in Holzständen. Zwischen den Ständen links und rechts bleibt ein schmaler Gang. Und das auf beiden Straßenseiten. Kilometerlang mit nur kleinen Unterbrechungen. In regelmäßigen Abständen führen kleine Gassen in ein Labyrinth von weiteren Ständen, in die Hinterhöfe. Es hat eine Weile gebraucht, bis wir uns in diese getraut haben. Aber dann: Der Zugang ist noch hell von der Straße. Dann wird es dunkler, stickig, es riecht nach.., riecht nach…Blut. Ein kleiner Schlachthof im Hinterhof. Hühner in Käfigen, in einem furchtbaren Zustand. Es wird auf Bestellung geschlachtet. Keine Kühlung, kein Ventilator. Getrocknetes Blut. Im Dunkeln springen die Ratten. Junge Männer in kurzen Hosen und Latschen machen gerade eine Pause. Und ich habe den Eindruck, dass Menschen, die mit Fleisch hantieren, hier einen besonderen Stolz ausstrahlen. Als sei auch nur der Umgang mit Fleisch grundsätzlich ein Anteil am Wohlstand. Und: In den wenigen Restaurants sind Fleischgerichte in der …

Tamasha von oben

Jeder fünfte Mensch lebt in Indien. Die Wirtschaft wächst jährlich um gut sechs Prozent. Der indische Energiebedarf wird sich zwischen 2020 und 2035 verdoppeln. 600 Millionen Menschen in Indien sind jünger als 25 Jahre. 60 Millionen Jugendliche suchen einen Job und jeden Monat drängt eine weitere Million auf den Arbeitsmarkt. Es gibt hier 100 Sprachfamilien…. Wir sind in Kolkata. Wir leben in einem winzigen Häuschen auf dem Dach, sechster Stock, große Terrasse. Blick über die Stadt, über den Stadtteil Belgachia im ärmeren Norden. Es ist 8 Uhr am Morgen, die Sonne ist schon seit über zwei Stunden da. 14 Millionen Menschen leben in dieser Metropolregion. Und nun beginnt ihr Tamasha-Konzert und steigert sich bis zum Mittag, von Minute zu Minute. Tamasha meint umgangssprachlich: Trubel, lärmendes Treiben voller Aufregung, wirres Durcheinander. Ich höre die Energie dieses Landes.

Losgehen in Kolkata

…in der Frühe laufen wir los. Von Norden, nach Süden durch den alten Teil der Stadt. Es ist alles da und von allem viel: besonders laut durch ihr Hupkonzert sind die Fahrräder, Tuktuks, Motorräder und Busse, umgeben von Häusern aus der Kolonialzeit mit morbidem Charme, dazwischen Neubauten und Bretterverschläge, kleine Läden und Handwerksbetriebe. Männer und Frauen in Bewegung, aber gemächlich – ein anderes Tempo wäre in dieser Hitze nicht angemessen. Die Stadt und ihre Menschen lesen lernen… langsam… wir sind ja erst am Anfang… …und im Gehen immer wieder überrascht, dass ganze Straßenzüge unterschiedlichen Fachgeschäften gewidmet sind: da gibt es eine Straße, in der Töpfe, Pfannen, Küchenartikel oder Plastikschüsseln und Eimer in jedem kleinen Laden verkauft werden, in der nächsten Gasse sind es frisch gezimmerte Holzleitern, dann folgen alle Arten von geflochtenen Körben, darauf Säcke, Taschen und Netze. Es gibt sogar eine Reihe von Tresoraufarbeitungshandwerksbetrieben! (das Wort dafür wohl nur in der deutschen Sprache). Eine Ecke weiter reihen sich Eisenhandlungen aneinander, Rund- und Vierkant-Stahlstangen liegen in eigens dafür angefertigten Regalen. Dazwischen und an den Straßenecken …