Monate: Juni 2025

Reisende sein

Heute ist der letzte Tag unserer gemeinsamen Sabbatical-Reise. In Kolkata gestartet, schließen wir mit der Jazz Baltica am Timmendorfer Strand ab. Größer kann die Spannweite kaum sein. Jetzt noch einmal aufs Ganze schauen. Und Puzzlestückchen einsammeln. Das, was ich von hier aus schon sehen kann. Reisen, ein spezifischer Modus. Ich erinnere mich. An früher. Da bedeutete Reisen vor allen Dingen das Aufbrechen, das Losziehen, die Neugier auf das Unbekannte, so stark, dass gar keine Zeit für ein Ankommen blieb, weil es immer schon weiter ging, in das nächste Abenteuer. Und bei dieser Reise? Der Anfang in Kolkata war zunächst einmal von allem viel! Farben, Gerüche, Geräusche, Menschenmassen, Reichtum und Armut. Faszination und Überforderung, fremd sein und langsam herausfinden, wie Leben hier geht. Und dann immer wieder von vorne dieses Spiel: von fremd in vertraut umwandeln. Jedes neue Zimmer. Die Straße. Das Viertel. Den Ort. Ankommen. Das Hotelzimmer betreten. Der Blick aus dem Fenster. Den Platz für den Rucksack finden. Einen Tisch oder Nachttisch, sofern überhaupt vorhanden, mit Skizzenheft, Stift und I-Pad ausstatten, die Bettseiten aufteilen. …

Das doppelte Ankommen

Es geht über die Pyrenäen runter in meine zweite Heimat. Diesmal nach Céret und Toulouse, einige Tage mit Freunden in Paris. Meine Mutter hat in den frühen 50er mehrere Jahre in Paris gelebt. Als Kind habe ich ihre Erzählungen aus dieser Zeit geliebt: Edith Piaf und Charles Aznavour live im „Olympia“, Brigitte Bardot mit Lockenwicklern beim Bäcker nebenan… Es gibt ein Foto meiner Mutter aus dieser Zeit, im Petticoat auf den Champs-Elysées. Ich bin mit französischer Küche aufgewachsen, dem einfachen Rotwein zum Mittagessen und so, in den 60ern, in Bremen-Huchting, in einer „Neuen-Heimat-Siedlung“ wie man damals sagte. Mein Eltern waren Flüchtlinge und hatten sich über eine Zeitungsannonce gefunden: „Flüchtling sucht Flüchtlingin“. Eine neue Heimat, 68 Quadratmeter, endlich. Flüchtlinge unter vielen Flüchtlingen in einer Siedlung bei Bremen, mit einem Hauch von Savoir-Vivre und Vertrautheit mit dem Klang der französischen Sprache. In den 70er haben meine Mutter und ich mehrfach zusammen Frankreich besucht, ihre Freunde in Paris und vor allem im Jura: Erinnerungen: Auf der Rückbank eines DS, von Besançon nach Paris. Draußen ist es noch dunkel. …

… und dann entsteht die letzte Serie

Ich sitze im Strandkorb am Timmendorfer Strand und erinnere mich daran, wie ich als Kind auch schon einmal in einem Strandkorb gesessen bin. Tho macht ein Foto davon. Ich schicke es meiner Mutter und die findet prompt das frühe Bild dazu. In unserer Ferienwohnung spiele ich ein wenig auf den unfertigen Bildern rum. Dann fällt mir aus meiner Wörtersammlung ein Zettel in die Hände: Serie: Werte der Kindheit … das ist mein Ausgangspunkt für die Bilder, auch wenn es gar nicht nur um Werte geht.

Letzter Schliff…

Die letzten vier Tage unserer Sabbatical Reise. Im Gepäck noch eine Mappe mit unfertigen Blättern. Vier Blüten in verschiedenen Stadien. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Stadt

Wir sind nicht die ganze Zeit in unserem oder im Nachbardorf geblieben in den letzten zwei Monaten. Alle zwei bis drei Tage ging’s in die Stadt. Nach Calatayud. Mit knapp 20.000 Einwohner:innen die zweitgrößte Stadt in Aragon. Schon beim ersten Besuch fand ich die zusammengewachsenen Platanen auf dem Paso de Aragon faszinierend. Da muss ein Gärtner sich ja die Mühe gemacht haben, die Zweige so zusammen zu binden, dass sie mit den Jahren zusammenwachsen. Diese verbundenen Zweige konnte man im März noch richtig gut sehen, in den folgenden Wochen wuchsen die Triebe zu einem immer dichter werdenden Blätterdach, das dem zentralen Paseo jetzt eine angenehme Kühle schenkt. Je wärmer es wird, desto mehr findet hier statt. Alle Cafés stellen Tische und Stühle raus, kleine Holzhütten werden aufgebaut, in denen abwechselnd mal Bücher mal Kunsthandwerk ausgestellt und verkauft werden. Das „Anyelo“ ist unsere Stammcafeteria. Meist kommen wir morgens vor dem Einkauf vorbei auf einen Café con Lecche, Churros und eine Tostada con Tomate. Wir sind nicht die einzigen Stammgäste, und der Wirt weiß jeweils schon beim …

PS: Das Dorf

An „Quijote“, dem Ritter von der traurigen Gestalt, kommt man nicht vorbei. Der Roman von Miguel de Cervantes ist die Sichtweise Spaniens seiner selbst. Fast jede Überlegung zu Spanien sieht zunächst beim „Quijote“ vorbei. Auch deshalb stehen Don und Sancho Panza noch immer in etlichen Vorgärten. Es heißt ja, dass die Spanier:innen die Menschen retten müssen, die da in der glühenden Hitze der öden Ebene vor sich her schmoren, im sogenannten leeren Spanien, in der Provinz. Es brauche dort Autobahnen, Kreisverkehr, Reihenhäuser mit bodentiefen Fenstern, Supermärkte, Stauseen, Entwicklung, Wachstum… Diese leere Landschaft sei ein zu lösendes Problem. Und diese Provinz wird oft verachtet wie im „Quijote“, auch von den Menschen, die dort leben. Heißt es. Es gibt das herrliche Buch „Der Hipster von der traurigen Gestalt“ von Daniel Cascón. Die Geschichte: Ein Hipster aus Madrid will im Auftrag der Regierung in einem Dorf im leeren Spanien „den organischen Zusammenhalt und die tiefe Verbundenheit aller Lebewesen untereinander sowie mit ihrer Umgebung stärken, ausgehend vom Respekt zwischen den Geschlechtern und Arten und einer auf kollaborativer Horizontalität gegründeten, …

Terra aragonesa

Von verschiedenen Seiten wird es uns immer wieder gesagt: das Wetter ist in diesem Jahr besonders. Es regnet viel mehr als sonst, teilweise heftig und mit dicken Hagelkörnern und dann wieder ist es für diese Jahreszeit viel zu heiß. Wir können beobachten, wie das Wetter das Land formt. Die weiche, bröselige rote Erde wird vom Regen mitgenommen, immer talabwärts. Aus menschlicher Perspektive betrachtet, gehen in mühevoller Arbeit angelegte, terrassierte Flächen verloren. Der Natur ist es gleich gültig. Für mein Auge ist da so viel Schönheit. In rosa-rost-rot.

Die Ankunft des Chips und der Weg

Die Sonne scheint, es ist fast heiß. Vögel, die drei namenlosen Katzen, der alte Hund „Alba“, blauer Himmel. Bi sitzt in ihrem orangenen und ich in meinem blauen Campingstuhl, die wir bei Al Campo in der Stadt gekauft haben. Aus den Stühlen kann man auch kleine Liegen machen. Dazu Chips und Erdbeeren, ein Bitter Kas mit Zitrone. Ich döse, Bi denkt. Wir sitzen vor unserer Haustür in der Calle Fuente 11, Torralba de Ribota, Region Saragossa, Aragón, Spanien. Im Dorf ist es wie immer still, bis auf das Vogelkonzert, alle 15 Minuten die Turmuhr, aus der einzigen Bar im Ort hört man ganz, ganz weit hinten den Fernseher, Fußball. Um 12 Uhr mittags ist es hier wie in „12 Uhr mittags“, auch mit den Pflanzenkugeln, die sich vom Wind angetrieben durch die Gassen kugeln. Ihr wisst schon. Die Schwalben zischen manchmal durch unsere Gasse und jagen sich. Wir beobachten aus unseren Campingstühlen träge und wortlos eine Ameise, wie sie neben uns das Stück eines Chips huckepack nimmt und sich auf den Weg zum Nest macht. …