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Reisende sein

Heute ist der letzte Tag unserer gemeinsamen Sabbatical-Reise. In Kolkata gestartet, schließen wir mit der Jazz Baltica am Timmendorfer Strand ab. Größer kann die Spannweite kaum sein. Jetzt noch einmal aufs Ganze schauen. Und Puzzlestückchen einsammeln. Das, was ich von hier aus schon sehen kann. Reisen, ein spezifischer Modus. Ich erinnere mich. An früher. Da bedeutete Reisen vor allen Dingen das Aufbrechen, das Losziehen, die Neugier auf das Unbekannte, so stark, dass gar keine Zeit für ein Ankommen blieb, weil es immer schon weiter ging, in das nächste Abenteuer. Und bei dieser Reise? Der Anfang in Kolkata war zunächst einmal von allem viel! Farben, Gerüche, Geräusche, Menschenmassen, Reichtum und Armut. Faszination und Überforderung, fremd sein und langsam herausfinden, wie Leben hier geht. Und dann immer wieder von vorne dieses Spiel: von fremd in vertraut umwandeln. Jedes neue Zimmer. Die Straße. Das Viertel. Den Ort. Ankommen. Das Hotelzimmer betreten. Der Blick aus dem Fenster. Den Platz für den Rucksack finden. Einen Tisch oder Nachttisch, sofern überhaupt vorhanden, mit Skizzenheft, Stift und I-Pad ausstatten, die Bettseiten aufteilen. …

Das doppelte Ankommen

Es geht über die Pyrenäen runter in meine zweite Heimat. Diesmal nach Céret und Toulouse, einige Tage mit Freunden in Paris. Meine Mutter hat in den frühen 50er mehrere Jahre in Paris gelebt. Als Kind habe ich ihre Erzählungen aus dieser Zeit geliebt: Edith Piaf und Charles Aznavour live im „Olympia“, Brigitte Bardot mit Lockenwicklern beim Bäcker nebenan… Es gibt ein Foto meiner Mutter aus dieser Zeit, im Petticoat auf den Champs-Elysées. Ich bin mit französischer Küche aufgewachsen, dem einfachen Rotwein zum Mittagessen und so, in den 60ern, in Bremen-Huchting, in einer „Neuen-Heimat-Siedlung“ wie man damals sagte. Mein Eltern waren Flüchtlinge und hatten sich über eine Zeitungsannonce gefunden: „Flüchtling sucht Flüchtlingin“. Eine neue Heimat, 68 Quadratmeter, endlich. Flüchtlinge unter vielen Flüchtlingen in einer Siedlung bei Bremen, mit einem Hauch von Savoir-Vivre und Vertrautheit mit dem Klang der französischen Sprache. In den 70er haben meine Mutter und ich mehrfach zusammen Frankreich besucht, ihre Freunde in Paris und vor allem im Jura: Erinnerungen: Auf der Rückbank eines DS, von Besançon nach Paris. Draußen ist es noch dunkel. …

Die Ankunft des Chips und der Weg

Die Sonne scheint, es ist fast heiß. Vögel, die drei namenlosen Katzen, der alte Hund „Alba“, blauer Himmel. Bi sitzt in ihrem orangenen und ich in meinem blauen Campingstuhl, die wir bei Al Campo in der Stadt gekauft haben. Aus den Stühlen kann man auch kleine Liegen machen. Dazu Chips und Erdbeeren, ein Bitter Kas mit Zitrone. Ich döse, Bi denkt. Wir sitzen vor unserer Haustür in der Calle Fuente 11, Torralba de Ribota, Region Saragossa, Aragón, Spanien. Im Dorf ist es wie immer still, bis auf das Vogelkonzert, alle 15 Minuten die Turmuhr, aus der einzigen Bar im Ort hört man ganz, ganz weit hinten den Fernseher, Fußball. Um 12 Uhr mittags ist es hier wie in „12 Uhr mittags“, auch mit den Pflanzenkugeln, die sich vom Wind angetrieben durch die Gassen kugeln. Ihr wisst schon. Die Schwalben zischen manchmal durch unsere Gasse und jagen sich. Wir beobachten aus unseren Campingstühlen träge und wortlos eine Ameise, wie sie neben uns das Stück eines Chips huckepack nimmt und sich auf den Weg zum Nest macht. …

Erde, Erde, werde! – Teil 3

Pur werden. Erde. Aufgesammelt. Getrocknet und gesiebt. Zu feinem Staub. Mit Wasser lösen. Auf Papier. Nichts darstellen wollen. Da sein. Bewegungsspur. Dichte. Durchschimmern. Schicht um Schicht. Wieder auflösen. Anders verschieben. Ahnungslos. In letzter Runde aufreibend. Krumme und Gerade. In die Erde. Bezeugt. Das kommt dabei raus.

Weben, wabern oder wie weiter?

Wenn ich in den letzten Tagen und Wochen die Nachrichten aus der Welt verfolge, fühlt es sich an wie die zunehmende Erschütterung eines sicher geglaubten Bodens, auf dem ich mich bisher bewegt habe. Ein gewählter altbekannter alter Mann stampft erneut seine Macht aus, versetzt demokratische Systeme in Schockstarre, schürt Polarisierungen und Unsicherheiten im gesellschaftlichen Gewebe.Grenzverletzungen, Gräben, Löcher und Chaos. Und er ist weltweit in guter Gesellschaft anderer alter Männer. Was mir langsam klar wird: wenn ich aus dem Sabbatical zurückkehre, bin nicht ich es, die möglicherweise verändert ist, sondern vielmehr wird die Welt, in die ich komme, eine andere sein. Im Kleinen wie im Großen. Ich bereite mich darauf vor. Ich versuche es. Ich erlaube mir, unsere Welt als ein großes, komplexes Gewebe des Lebendigen wahrzunehmen.Als eine unendliche, immer wieder neue Verbindungen schaffende, schöpferische Bewegung. Auf allen Ebenen: von den neuronalen Netzen bis zum Bindegewebe. Ich erinnere mich an die kunstvollen Nester der Webervögel und an das soziale Gewebe von menschlichen Gemeinschaften. Hier in Laos bewundere ich die Kunst des Webens. Diese Stoffe, deren Farben …

Mrs. Ha oder ausgerechnet Hoi An

Wir sind tagsüber mit dem Zug von Hanoi nach Da Nang unterwegs, von dort geht es weiter nach Hoi An. Die Fahrt auf der berühmten Strecke Hanoi – Saigon dauert rund 17 Stunden, für 750 Kilometer. Jede Bahnfahrt hat ja so ihre nationalen Besonderheiten: In Vietnam werden vor jedem Stop mehrere Lieder im Zug gespielt. In meinen Ohren klingen diese unfassbar laut und kitschig. Die Vietnames:innen allerdings wiegen ihre Köpfe zu der Musik. Überhaupt ist der Kauf von Kopfhörern mit stabilem noise cancelling eine absolut notwendige Anschaffung für Bus- und Zugfahrten, auch in Vietnam. Und: In dem besonderen Speisewagen erhalten wir einen Klumpen Reis mit ein paar Stücken zähem Fleisch, Soßen aus Plastikflaschen, warmes Bier und dazu Eiswürfel. Womit galant zum eigentlichen und unendlichen Thema dieses Beitrages übergeleitet wäre, der Küche in Vietnam… Die richtig schlecht sein kann, trotz ihres Rufes eine der besten der Welt zu sein. Neele ist noch mit uns und Vegetarierin, was die Sache deutlich erschwert. Auf dem Land kann einem dann schon passieren, dass es so richtig trostlos wird. Auch …

Gartenliebe

Mit dem Fahrrad auf kleinen Wegen durch die Landschaft in Tràng An zu fahren, ist für mein Gärtnerinnenherz eine große Freude. Natürlich gibt es viel Landwirtschaft mit Reisanbau, auch wenn das, weil hier Winter ist, nicht danach aussieht, weil die jungen Setzlinge noch unter Plastikplanen vorgezogen werden. Dann gibt es hier Bäume und die dazugehörigen Früchte, die ich noch nie in echt gesehen habe. Besonders schön: der Jackfruchtbaum, ein echter Alleskönner! Bisher kannte ich die Frucht nur als Fleischersatz, wofür das Fruchtfleisch seit 2016 nach Europa exportiert wird. In Asien findet alles an diesem Baum Verwendung: aus dem Holz werden Musikinstrumente geschnitzt, die Nüsse der Frucht lassen sich geröstet essen, Das Fruchtfleisch passt zu Currys, unreif wird es zu Pickles verarbeitet. Und das Holz liefert gekocht den gelben Farbstoff für die Roben der buddhistischen Mönche. Blätter, Rinde, Wurzeln, Samen und Milchsaft werden zu Medizin verarbeitet. Und die pickligen Früchte sind richtig groß, man braucht Kraft und ein starkes Messer, um sie aufzuschneiden. Es beeindruckt mich, mit welcher Sorgfalt die Hausgärten angelegt sind und gepflegt werden. …