Malerei

Weiße Bilder
Sehnsucht nach Weite und Raum. Ein Versuch.

Woher kommen die Bilder, die wir malen? Wieso sollen es weiße Bilder werden?

Eine Ausgangserfahrung ist die Reise in Innenwelten: die Bewegung, mit klappernden Knochen durchs Unterholz streifen. Wege, die hochführen in eine heller werdende Welt. Kreidefelsen, Flechten, Steine, Wasser, Wolkennebel. Stehen am Rande des Sees. Knochenfrau mit langem Stab, in weiß aufgelöst, eins werden in dieser Fülle von Nichts. Pur. 
Und wie diesen Weg, dieses Sein sichtbar werden lassen im Bild, in Bildern?

Ein Versuch, schon vor Jahren. Vier Blätter mit farbig angelegten Figuren in hellen Umgebungen. Angedeutete Bewegung. Schauende Gesichter.
In diesem Sommer die Bilder wieder gefunden und mit ihnen die Sehnsucht, sich ins Weite des Weiß zu aufzumachen.
Ein neuer Anlauf. Eine Woche Zeit. Malatelier in der Sommerakademie der Alanus Hochschule. Ein Reisebericht mit Zustandsbildern.
Vier Blätter, 40 × 50 cm. Aufgezogen auf Bretter stehen sie vor mir, laden ein, die angelegten Figuren weiter zu gestalten, wirklicher werden zu lassen, neue hinzuzufügen.  Eine Frau sucht ihren Stand, Köpfe im Raum, gedreht, gerader Blick, jemand sitzt im Bild.


Und was nun? Das große Schichten beginnt, mit dem Pinsel, eine weiße Schicht nach der anderen. Was soll im Bild ins Weiß geführt werden? Wie geht malerisch der Unterschied zwischen transzendieren und abdecken?  Mit den handwerklichen Fragen tauchen gleichzeitig unterschiedliche Gefühle im malerischen Prozess auf. Die große Sehnsucht nach weißer Weite wird begleitet von der Trauer des Loslassens und dem Verschwinden von Bildteilen. Auch die schönen Partien den weißen Schichten opfern. (Eine Teilnehmerin steht verstört vor dem einen Bild und sagt: „wie konntest du die Figur entschwinden lassen, ich hatte mich in sie verliebt“)
Dennoch: ich bleibe auf dieser Spur, immer mehr löst sich weiß auf.


Und dann gibt es die farbigen Bildelemente, die jeder verbergenden Schicht trotzen und einfach wieder durchschimmern, egal, wie dick die Farbe darübergelegt wird. Und wie oft. So eine Beharrlichkeit. Penetrant. Ich brauche eine Weile, bis mir klar wird: ich hatte beim Anlegen des Bildes eine Aceton-haltige Farbe benutzt, die muss erst mit einer Lackschicht isoliert werden, bevor es mit dem Weiß weitergehen kann.


Am dritten Tag ist auf den vier Bildern fast alle Farbe dem Weiß gewichen, nur kleine Reste sind noch da, sie auch noch loszulassen, war mir nicht möglich, es musste doch mindestens einen farbigen Moment geben, um das Weiß leuchten zu lassen. Im Kontrast dazu, so war meine Idee.
Ach, was für ein intensiver Malprozess, suchende Wege – und der Blick auf die Bilder, die Ergebnisse kann sich einer Langeweile nicht enthalten. Da lebt nicht viel, da leuchtet kein Weiß, da ist einfach nur leicht gewellte Fläche, weil das Papier ungeeignet war für so viele Farbschichten. Das klägliche Scheitern einer guten Idee. Und nun?


Frust, Versagen, düstere Träume und am Morgen danach wie aus dem Nichts die Melodie im Ohr von: „fifty ways to leave your lover“ von Paul Simon. Ewig nicht mehr an dieses Lied gedacht und genau das ist es. Schluss mit der Selbstzerfleischung. Ich zwinge mich, so viele Varianten wie möglich aufzuschreiben, wie ich mit den weißen Bildern weitermachen kann: mit weißem Lackstift zeichnen, Glanz auftragen mit Lack, Bilder von der anderen Seite bemalen, Schnitte setzen, mit zartem Bleistift fast unsichtbar beschriften, bei jedem Bild Farbspuren frei kratzen, Risse kratzen, in Streifen schneiden, zu Schnecken aufrollen, in einen Rahmen packen, in weiße Wandfarbe tunken, das Konzept „Weiß“ loslassen, mit Kreide alles verwischen, Buchstaben ausschneiden aus jedem Blatt, Figuren mit Bleistift rein schattieren, Myriaden von Figuren, tanzende, stürzende Figuren, weißen Faden einnähen, mit Faden zu einem Bild zusammen nähen, mit Überlappungen oder kleinem Spalt, in Fetzen reißen als performativer Akt, zu einer Suppe kochen, neu auswalzen zu Papier, so dünn und löcherig wie nur geht, vielleicht alle diese Schritte nacheinander, wie auch immer, ich kann aus der Sackgasse raus!

Zwei Bilder wurden dann in 4 cm breite Streifen geschnitten. Eine Pappkiste gefunden, deren Wände genauso hoch waren. Die Streifen gerollt und hineingestellt. Ein Leuchten beginnt – nein, nicht weiß, sondern ganz zart farbig.