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„Welcome to the land of enlightenment“

Das steht auf vielen großen, kitschig grellen Plakaten auf dem Weg nach Bodhgaya. Überraschenderweise wird damit Werbung gemacht für ein internationales Frauen-Hockey-Turnier.

Wir landen in Bodhgaya mehr durch Zufall, weil das Dorf direkt neben Gaya liegt. Und das wiederum war der Ort, zu dem es noch Zugtickets gab.

Dann stellt sich raus: es ist einer der wichtigsten Pilgerorte für die Buddhisten auf der ganzen Welt. Oh! Also hochgradig bedeutungsvoll! Also deswegen „enlightening“?

Wie bitte darüber schreiben? Klappt nicht auf einmal, deswegen eine Annäherung in drei Wellen:

1. Schnuppern

Am ersten Nachmittag werden wir von einem Elektro-Tuktuk-Fahrer von Tempel zu Tempel gebracht. Auch wenn die Gebäudeformen unterschiedlich aussehen, der Ablauf ist immer derselbe: vor dem Eingang Schuhe ausziehen, dann führt ein gepflasterter Weg zum eigentlichen Tempelbau. In der Mitte des Raums sitzt eine Buddha-Statue in Gold und bunten Farben, mit Ornamenten verziert und Opfergaben drumzu.

Wir stehen still und staunen und wissen noch nicht so recht…

Wo sind Anknüpfungspunkte? Wie lässt sich überhaupt eine Annäherung bewerkstelligen? Der Reiseführer gibt äußere Daten her… aber was ist dieses Bodhgaya?

2. Nachlesen

Ich muss dann recherchieren, um einen Ansatz zu finden. Das wird jetzt ein ZDF-Abschnitt – wenn du also gerade nicht so Lust auf Zahlen und Daten hast, kannst du auch gleich zu 3. springen.

Im Netz finde ich den Artikel von Rainer Knopf, der im Internationalen Asienforum über die Geschichte Bodhgayas geschrieben hat. Und das ist wirklich spannend. Wie wechselhaft sie war. Natürlich beginnt sie früh, berühmt wird der Ort aber erst durch den Prinzen Siddharta Gautama, der hier sitzend unter einer Pappelfeige (indisch: Bodhi) vor etwa 2500 Jahren Erleuchtung erlangt hat, also Buddha wurde.

Dann dauert es ein bisschen, um 250 v.Chr. entsteht eine Gedenkstätte an Buddha, der zentrale Mahabodhi-Tempel mit seinen 55 m Höhe wurde erst im 1. – 3. Jhd. n. Chr. direkt neben dem Bodhi-Baum angelegt, der heute nicht mehr der Originalbaum, aber ein Ableger davon sein soll. Natürlich wurde auch der Tempel über die Jahrhunderte immer wieder erneuert und die heutige Fassung stammt größtenteils aus dem 6. Jahrhundert.

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mahabodhi_Temple

Im 13. Jahrhunderts verschwand der Buddhismus fast ganz in Indien, die Tempelanlage in Bodhgaya wurde allerdings von den Hindus weiter als heilige Stätte genutzt – was zu Streitigkeiten bis heute führt, wer Entscheidungsbefugnisse für das Gelände hat.

Ende des 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen den Buddhismus in Bodhgaya wieder zu beleben.

Erfolg stellte sich aber erst 1956 ein, als der indische Justizminister Dr. Ambedkar sich zum Buddhismus bekannte. Für ihn, der aus der Kaste der Unberührbaren stammte, war der Buddhismus mit der Gleichbehandlung aller Menschen vor allen Dingen ein vielversprechender sozialreformerischer Ansatz und tatsächlich gelang es ihm, dass viele Menschen, vor allen Dingen aus seiner Kaste, zum Buddhismus konvertierten und diese Religionsgruppe in Indien innerhalb weniger Jahre von 190.000 auf fast 6,5 Millionen im Jahr 1991 wuchs.

Und erst jetzt wurde Bodhgaya zu dem wichtigsten heiligen Pilgerort für die Buddhisten aus aller Welt. Vor allem unterstützt durch Initiativen und Gelder, die von außerhalb kamen. Sämtliche asiatische Länder mit buddhistischen Gemeinden bauten in Bodghaya einen eigenen Tempel, oft mit angeschlossenem Kloster. Deswegen also die vielen Tempel, Mönche und Nonnen in diesem Ort.

3. eintauchen

Wir waren gestern da, wir sind heute wieder hingegangen und werden auch morgen dort sein.

Vorab: Handys müssen abgegeben werden vor dem Eingang, man geht durch zwei Sicherheitsschleusen und dann sind wir drin, zusammen mit Mönchen, Nonnen und vielen Besuchern, vor allem aus dem asiatischen Raum.

So viele wogende, leuchtende Gewänder von dunklem Bordeaux über Rot, Orange und Goldgelb bis zu zarten Violett- und Grautönen. Dazu die kurz geschorenen Haare, durch die die Kopfformen so prägnant sichtbar werden.

Um den Tempel und den dahinter wachsenden Bodhi-Baum gibt es einen mit Steinplatten ausgelegten Weg, der von einem ornamentierten Steinzaun und einer umlaufenden Bank eingerahmt ist.

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mahabodhi_Temple

Unter den weit ausladenden Ästen der Pappelfeige sitzen wir. Heute Morgen fällt mir ein Blatt auf das Knie. Und ich freue mich, dass der Baum mir einen Teil von sich gibt. Mit der Zeit bemerke ich, dass auch alle anderen, die hier sitzen, rasch zupacken, wenn wieder ein Blatt niedersinkt und es mit leuchtenden Augen zu sich nehmen oder sogar kleine Sammlungen anlegen. Ein tibetischer Mönch mit roter Kutte fragt einen anderen, ob er ein paar Blätter haben könne, und ich bekomme später noch von einem jungen Mann ein Blatt geschenkt:„for your mother“ sagt er.

Da sein, Zeugin sein: wie eine jungen Nonne hingebungsvoll den Tempelweg fegt, Blumen zusammensammelt und wegbringt, wie ein streng blickender Mönch eine Gruppe von Kindern und jugendlichen Novizen zu einer ausführlichen Geh-Meditation anleitet, seine Stimme gibt den Rhythmus vor: „Om tschah kah“ … so in etwa klingt es. Die ca. 25 Jungs schwanken teils konzentriert, teils abgelenkt in einer Reihe hinter ihm her, Runde um Runde.

Auch wenn entlang des Weges um den Tempel eine stille Geschäftigkeit herrscht, so ist gleichfalls eine hohe Konzentration und meditative Stimmung allgegenwärtig. Getragen wird sie von den Mönchen und Nonnen, die oft Stunden in der Versenkung sitzen.

Tho und ich finden in unseren je eigenen Modus von Meditation und Präsenz.

Am intensivsten ist für mich das langsame Gehen, in dem Atem- und Schrittrhythmus sich aufeinander einschwingen und Raum für Leere entsteht – zwischen Boden und Himmel. Und dann fließt die Zeit weg. Das Licht wird golden. Manchmal ein Luftzug. Mehr ist nicht zu tun.

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