Neben den tradierten und idealtypischen Vorgaben des „Vastu Shastra“ für die Baukunst (s. Artikel: Himmel, Herrschaft, Haveli) gibt es in Indien noch eine wesentlich stärker verbreitete Form des Bauens, insbesondere beim Wohnungsbau.
Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt ist ein Betonskelettbau meist die Grundlage des Gebäudes. Die Freiflächen werden mit Ziegeln ausgemauert. Die Stützstreben für den Betonguss der Etagen sind in der Regel Bambus- oder Holzstäbe.
Häufig sehen wir mehrstöckige Gebäude, bei denen das Erdgeschoss schon bezugsfertig ist, der erste Stock aber noch auf Fertigstellung wartet. Oder Teile eines Gebäudes sind gemauert, andere verputzt und wieder andere sogar angestrichen. Es scheint auch hier alles ein Prozess des Werdens und Vergehens zu sein, sicherlich auch in Abhängigkeit von den finanziellen Möglichkeiten.
Kirtee Shah, ein indischer Architekt, schätzt, dass über 70 % aller Wohneinheiten in Indien ohne Architekt, Baugesellschaft, Bauplan und Genehmigung entstehen.
Und dann gibt es natürlich auch insbesondere in den Städten Neubauten, bei denen mit Fertigbauteilen gearbeitet wird und sogar die Verkabelung unter Putz angelegt wird.
Und wie immer in Indien, findet sich alles im wildem Nebeneinander: eine geordnete Bauweise, Selfmade-Behausungen und verfallende Wohngebäude. Besonders in Kolkata gibt es unglaublich viele Kolonialbauten, die langsam vor sich hin bröckeln oder von Pflanzen überwuchert und erobert werden.
Das liegt vor allem an einem Gesetz zum Schutz der Mieter in Kolkata, das bei alten Mietverträgen kaum Preiserhöhungen zulässt, sodass teilweise in den alten Gebäuden sehr niedrige Mieten gezahlt werden. Allerdings führen diese Mieten nicht dazu, dass die Hausbesitzer eine Sanierung der Gebäude in Angriff nehmen. Man wartet eher ab, bis sie zusammenbrechen, denn dann darf man neu bauen.
In den Neubauten sind die Wohnungsmieten dann so hoch, dass die meisten Inder sich diese nicht mehr leisten können.