Monate: November 2024

Zwei Straßen weiter…

Tatsächlich ist Udaipur, ein Ort, der von Reisenden aus allen möglichen Ländern besucht wird. Entsprechend gibt es entlang der Straße um den Pichola-See mit den Hauptattraktionen Palast und Tempel die entsprechenden Geschäfte mit Dingen, von denen man glaubt, Tourist:innen würden sie besonders gerne kaufen. Hier sind das indisch anmutende Röcke, Blusen und Hosen, Miniatur-Malerei, wofür die Stadt berühmt ist, und Läden, die maßgeschneiderte Kleidung innerhalb von 24 Stunden herstellen. Dazu gibt es jede Menge Läden mit der Spezialkombination: Mopeds verleihen, Geld wechseln oder Zug- und Bustickets verkaufen. Von der Hauptstraße abbiegen und eintauchen in ein unüberschaubares Gassengewirr, noch einmal rechts und einmal links und auf einmal sind wir mitten im Bada Basar. Herrlich! Die anderen Tourist:innen haben wir hinter uns gelassen. So viele kleine Geschäfte, und vollkommen verschiedene. Hier gibt es wirklich jede Menge Fachgeschäfte. Sei es der Nudel-Laden, das Fachgeschäft für Schlösser oder Reis-Kochtöpfe, die Chips-Manufaktur oder der Chili-Laden… Es ist für mich ein sinnlicher Genuss durch die kleinen Straßen zu wandeln. Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch die vollgepackten Wagen mit Armreifen, …

Schule in Indien

Wie ist Schule in Indien? Diese Frage reist schon die ganze Zeit mit. Auffällig im Straßenbild ist zunächst einmal, dass indische Schüler:innen eine Schuluniform tragen, egal, ob sie zu öffentlichen oder privaten Schulen gehen. Was noch? Die Schulbusse sind in Indien gelb. Chorischen Sprechen schein hier zum Schulalltag zu gehören, so tönt es aus den Schulhäusern. Mein erster Schulbesuch kam unverhofft. Gestern. Bei einem Ausflug mit dem Motorrad. Am Ende eines nicht mehr gepflasterten Weges durch ein Dorf war nur noch ein großes Tor. Auf dem Schild stand, dass es sich um eine Schule handelt. Während ich davor stehe, kommt vom Hof eine Frau auf mich zu, offen lächelnd: „Good morning, welcome, come in, come in.“ Da sie mehr Worte auf Englisch nicht wusste, rief sie eine Kollegin herbei, die sich als Leena, Englischlehrerin in der Schule vorstellte. Ich erzählte ihr, dass ich Kunstlehrerin in Deutschland sei und großes Interesse hätte, eine indische Schule kennen zu lernen. „Come“, sagte sie und führte uns durch alle 8 Klassen dieser kleinen Dorfschule. Üblich ist, dass die Kinder …

Fließend

Ok, Udaipur ist nicht Kolkata oder Jaipur. Alles eine Nummer kleiner, aber das Prinzip habe ich hier in Udaipur verstanden oder besser erfühlt. Man muss sich reinstürzen in den Verkehr und sofort fließt man mit. Es gibt keine Regeln oder besser: wir halten uns an keine, außer der, dass man links fährt. Meistens. Selbst auf der Autobahn machen wir da schon mal eine Ausnahme. Wir haben Spaß miteinander, selbst oder gerade wenn geschimpft wird, weil es nicht weitergeht. Und natürlich wird dann gehupt. Ein kurzer gemeinsamer Aufreger, große Gesten. Das mit den Gesten traue ich mich noch nicht. Am Ende löst sich alles in Wohlgefallen und ein Lächeln auf. Wir weichen mit Freude aus, der pissenden Kuh oder ganzen Kuhherden, den abgrundtiefen Schlaglöchern und uns. Wichtig ist dabei eine gewisse Geschmeidigkeit, der Fahrfluss darf nicht unterbrochen werden. Der periphere Blick ist dabei gefordert. In Udaipur gibt es wohl nur eine Ampel, an einem großen Kreisel. Dort stehen wir zu acht nebeneinander auf zwei Spuren, vor allem Mopeds und Tuk-Tuks, ein paar Autos. Kurz bevor es …

Auszeit und Zukünfte

Die letzten drei Tage das Bett hüten. Schniefend und hustend. In Udaipur. In unserem hellen, weißen Zimmer mit Blick auf den See und die weißen Paläste. Das mit der Zeit wandernde Licht und die Schatten auf der Wand, klingelnde Glocken vom Tempel gegenüber, die leise tuckernden Touristenboote auf dem See und Vogelschreie. Abends werden sie abgelöst von Puja-Chören und den sehnsüchtig klingenden Männergesängen, die sich mit Gitarre begleiten…von mehreren Dächern gleichzeitig, mal wieder ein Sound-Tamasha. In Udaipur ist jedes Haus um den See ein Hotel mit Restaurant und Rooftop. Tagsüber schlafen, nachdenken oder lesen. Zum Thema „Zukunft“. Weil die Nachrichten aus aller Welt nicht eben hoffnungsfroh stimmen. Weil immer wieder die Frage auftaucht, ob es einen Unterschied macht, wenn wir die Zukunft nicht nur als düstere Gegend, als Katastrophenszenario beschreiben, sondern als einen Raum wahrnehmen, in dem sich eine Vielfalt an Möglichkeiten ereignen können. Warum sind dystopische Geschichten so viel häufiger als utopische? Und schaffen unsere Bilder von der Zukunft die entsprechenden Wirklichkeiten? Zu den Fragen finden sich Bücher (was für ein Glück, dass in …

Hotel Paramount Palace

Das kleine Pushkar liegt um einen See im Vorland der Wüste Thar im Aravalligebirge. Die Stadt ist indienweit bekannt als heiliger Ort. Jede/r Hindi sollte in seinem Leben den einzigen Brahma Tempel in Indien besucht haben, hier in Puskhar. Hier treffen Gläubige, Tourist:innen und internationale Freaks aufeinander. Heiligkeit neben Yoga, Raves und Kameltouren in der Wüste. Der Ort ist auch ein Basar. Überraschend schöne Produkte in den Gassen: Schmuck, Kleider, Hemden, Taschen, Hosen, Tücher. Westliche Wiederverkäufer. Restaurants, Hotels, Cafés, sogar ein französisches mit Croissants. Wir verbringen hier sieben Tage und Nächte, in erster Linie oben in unserem „Hotel Paramount Palace“. Das Paramount liegt über der Stadt, „the best view in town“ steht am Eingang, hoch am Hang gelegen, ein verwinkeltes Haus, enge Treppen, Zimmer mit kleinen Balkonen, Rundbögen und Säulen. Die Wände leuchtend blau, grün, pink und orange gestrichen. Die Dachterrasse mit schönen und kitschigen Tüchern abgehängt. Hier sind wir eigentlich immer und die einzigen Gäste. Hier chillen, spielen (unser sehr ernsthafter Scrabblewettbewerb hat begonnen, ich führe 2:1) und essen wir. Der erste Ort der …

Im Gedenken…

Ein Beitrag für alle, die mit der CoreDynamik und Bernhard Mack verbunden sind. Heute ist der 21. November 2024. Der Geburtstag von Bernhard, er wäre heute 76 Jahre alt geworden. Ich denke an ihn als Musik Liebenden, der sich lauschend in ungezählten Stunden durch die Weltmusik bewegte… … und der damals unsere Ausbildungsgruppe mit folgendem Stück beginnen ließ, das für ihn vermutlich auch ein persönliches Mantra war: „I did it my way“ von Frank Sinatra. Aus dem Moment improvisierend legte er die Musik für Atemreisen auf, genau abgestimmt auf die Reisegruppe und das Geschehen im Feld. Oft brachte er sich selbst als Musiker ein. Seine Stimme und der Ruf seiner Flöte, der Sound von Saxophon und Digderidoo bis hin zu den unterschiedlichen Tönen seiner großen Sammlung von beeindruckenden Gongs waren wundervolle Klanggeschenke. Bernhard wollte Räume öffnen, eintauchen, begleiten – auf allen möglichen Wegen… Ich denke da an ihn als genialen Witze-Erzähler. Hatte er den Eindruck, eine Gruppe sei zu angespannt, dann eröffnete er die Runde mit einem Witz… Einige werden sich erinnern, wie er im …

Wohnen

Neben den tradierten und idealtypischen Vorgaben des „Vastu Shastra“ für die Baukunst (s. Artikel: Himmel, Herrschaft, Haveli) gibt es in Indien noch eine wesentlich stärker verbreitete Form des Bauens, insbesondere beim Wohnungsbau. Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt ist ein Betonskelettbau meist die Grundlage des Gebäudes. Die Freiflächen werden mit Ziegeln ausgemauert. Die Stützstreben für den Betonguss der Etagen sind in der Regel Bambus- oder Holzstäbe. Häufig sehen wir mehrstöckige Gebäude, bei denen das Erdgeschoss schon bezugsfertig ist, der erste Stock aber noch auf Fertigstellung wartet. Oder Teile eines Gebäudes sind gemauert, andere verputzt und wieder andere sogar angestrichen. Es scheint auch hier alles ein Prozess des Werdens und Vergehens zu sein, sicherlich auch in Abhängigkeit von den finanziellen Möglichkeiten. Kirtee Shah, ein indischer Architekt, schätzt, dass über 70 % aller Wohneinheiten in Indien ohne Architekt, Baugesellschaft, Bauplan und Genehmigung entstehen. Und dann gibt es natürlich auch insbesondere in den Städten Neubauten, bei denen mit Fertigbauteilen gearbeitet wird und sogar die Verkabelung unter Putz angelegt wird. Und wie immer in Indien, findet …

Serie: Endgegner:innen

Neben den Reisestationen auf dem indischen Kontinent gibt es auf der inneren Reise gelegentlich sehr intensive Momente. Letztens saß ich mit neuen unterschiedlichen Endgegner:innen nacheinander am Tisch. Nachtrag: Einen Haufen innere Stimmen oder Gestalten hat vermutlich jede:r von uns. Für mich werden sie zu Endgegner:innen, wenn sie sich in voller Größe am anderen Ende des inneren Tisches oder wo auch immer in den Weg stellen und Ansprüche stellen, z. B. die Einzige sein zu wollen, die Größte, Einflussreichste oder Wahrhaftigste. Endgegner:innen, wenn Sie mich über den Tisch ziehen wollen. Wenn es eng wird In den Selbstkonzepten. So vielleicht…

Vergangenheit – Gegenwart

Sashi Tharoor (geb. 1956) hat 2016 eine Abrechnung mit der Kolonialherrschaft der Briten veröffentlicht. Die Grundthesen seines Buches „Zeit der Finsternis“ hat er vor neun Jahren in einer Rede formuliert, die millionenfach geklickt wurde und in Indien mittlerweile Schulstoff ist. Diese 15 Minuten (auf englisch) lohnen sich: https://youtu.be/f7CW7S0zxv4?si=KyYnRwWCvT9a_i08 Zweimal war ich bisher außerhalb von Europa. Mit meinem Sohn Levin in Namibia und jetzt in Indien, beides Länder mit heftiger kolonialer Vergangenheit. In Namibia schien uns der Völkermord an den Hereros und Namas Teil der aktuellen politischen Diskussionen im Land zu sein: Die Zahlung von Reparationen bzw. Wiederaufbauhilfen durch Deutschland, die Rückführung von Raubkunst, die Rückführung von Gebeinen, die Entschuldigung von Deutschland durch Bundespräsident Steinmeier und die Anerkennung des Völkermordes. Die historische Bewertung der brutalen deutschen Herrschaft schien uns dabei im wesentlichen unstrittig. In Indien scheint der öffentliche Diskurs an einer anderen Stelle zu stehen. Sashi Tharoor beschreibt die Folgen der britischen Herrschaft in Indien zwar nicht grundsätzlich neu, aber die Wucht ihrer Zerstörung und Vernichtung. Er wendet sich gegen Betrachtungen, die immer wieder die positiven …