Monate: November 2024

Fremd sein 2: Zeit

Vorab kommt hier aufgrund einiger Anfragen ein kleiner Technik-Einschub: Falls du bisher den Eindruck hast, unsere Artikel brechen mittendrin ab, dann tippe nochmal auf die Überschrift und du kommst zum gesamten Artikel mit allen Bildern und mit einem Ende:) Wir sind jetzt einen Monat in Indien. Manches ist mir vertraut geworden, wie der anmutige Gang der Frauen in ihren Saris, die Schreine für die Götter an jeder Ecke, die bunten Märkte und köstlichen Garküchen oder das holperige Fahrgefühl in den Tuktuks… An Einiges will ich mich nicht gewöhnen: lautes Hupen, speiende Männer. Das Fremde bleibt spannend! Langsam wird mir deutlich, wie tief die chronologische Zeit-Wahrnehmung mir in den Knochen sitzt! Mit welcher Selbstverständlichkeit ich davon ausgehe, dass etwas zu einem angegebenen Zeitpunkt tatsächlich beginnt. Und dass ein Ereignis auf das andere folgt im geordneten Nacheinander und in sortierten Ursache-Wirkungs–Verhältnissen. Und wie oft wird es zeitlich eng bei mir, weil ich einen Punkt nach dem anderen abarbeite und Ungeplantes nicht vorgesehen ist, bzw. eher als Störung wahrgenommen wird. Das Leben in einer linearen erlebten Zeitstruktur mit …

Es ist ja ein neuer Tag

In Jaipur übernachten wir mehrere Tage im Chillout oder genauer: „Chillout – Hotel & Rooftop – Vegetarian Restaurant“ Das Hotel hat 16 Zimmer, einen Rooftop, 8 Mitarbeiter, keine Mitarbeiterin und einen Manager, der heißt Achid. Hochsaison ist von November bis März, die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 2 Tagen, die Wäschereinigung ist outgesourct. Interessieren würde mich jetzt noch die PKQ, der SPS…Berufskrankheit. Tok-Tok-Check-Check. Achid interessiert sowas weniger. Er ist „Host & Cook“, „Host & Cook!“ Jahrgang 1988, ein gut aussehender Mann, er bewegt sich mit einer natürlichen Eleganz. Die Dachterrasse ist sein Revier, seine Bühne. Geht die Sonne über Jaipur unter, beginnt sein Auftritt und sein Konzert. Er spannt über den gesamten Abend einen musikalischen Bogen, mal Michael Kiwanuka oder Gregory Porter, mal Hindisound. Mal auch zu laut, wie immer in Indien. Die Sonne verschwindet gegen 5 über Jaipur, begleitet von Man o To „Nu“. Achid geht von Tisch zu Tisch und bringt einen Chai mit. Es ist ja noch später Nachmittag. Hier ein Gespräch, dort eine Geschichte über Jaipur. Ein lässiger flow. Mal sitzt er …

Tempelnachmittag mit Kotztüte

An einem Nachmittag landen wir bei unserem Spaziergang durch Jaipur in einem weitläufigen Garten. Still ist es hier, als wäre die Stadt plötzlich verschwunden. Auf der Wiese im Kreis Karten spielende Männer und Affen. Ganze Horden. Eine weitläufige Tempelanlage am Rande des Gartens. Die Menge der Schuhregale verrät, dass sie groß sein muss. Wir betreten eine Halle, in der eine entspannte Atmosphäre herrscht. Zum ersten Mal seit ich in Indien bin ein Raum, in dem fast ausschließlich Frauen sind. Sie sitzen oder lagern gemütlich in Gruppen am Boden, plaudern, ruhen, zeigen sich gegenseitig ihre Einkäufe. Einige wenige auf Stühlen. Sieht so aus, als würde hier irgendwann eine Veranstaltung stattfinden. Ein junger dürrer Mann geht mehrfach zu den Frauengruppen und will, dass sie aufstehen und sich auf die Stühle setzen. Warum das sein soll? Sie lächeln ihn amüsiert an, aber es rührt sich keine. Der junge Mann holt einen dicken Priester dazu, der versucht Kraft seiner Autorität mehr zu bewirken, löst bei den Frauen aber auch nur die Frage aus, wozu sie umziehen sollen. Ein Mann …

Für Ben, Michael und alle weiteren Kulinarix

Mittags an einer Hauptstraße in Jaipur, angenehme trockene 30 Grad, wolkenloser Himmel sowieso. Eine Garküche nach der anderen steht am Straßenrand. Hier in Jaipur ist fast alles vegetarisch. In unserem Hotel ist der Fleischverzehr untersagt. Das war in Kolkata anders. Hochbetrieb. An einigen Ständen stehen deutlich mehr Frauen, an anderen mehr Ältere. Es gibt eindeutige Präferenzen. Man wählt aus. Wir entscheiden uns für zwei Jungs, die mit der Hand einen Kartoffelbreikloß formen und diesen frittieren. Danach wird er zerkleinert, darauf kommen zwei Soßen und aus einem kleinem Gefäß noch ein Esslöffel einer dunklen Flüssigkeit (mir scheint sie ist das Geheimnis), frische Zwiebeln und Koriander. Das alles geht schnell, in 30 Sekunden haben wir unsere Schalen in der Hand. Der absolute Hammer: das Krosse zusammen mit dem Kartoffelbrei, der die Soßen aufzieht. Die Schärfe genau richtig für die Hitze und dieser Duft vom Koriander. Und so geht das dann weiter. Die nächste Variante ist deutlich milder, Anis, ein Hauch von Kardamon. Curry. Während in Kolkata und Patna eigentlich kein internationaler Tourismus existiert, hat man hier in …

Himmel, Herrschaft, Haveli…

Früh morgens am 13. November fahren wir mit dem Bus nach Amber, dem Herrschaftssitz der Mogul-Dynastie seit dem späten 16. Jahrhundert. Das beeindruckende Fort liegt auf den Hügeln in der Nähe der Stadt und ist mit seinen rötlichen Mauern und prachtvoll geschwungenen Baldachin-Dächern eines der touristischen Highlights in dieser Gegend. Während wir noch im Dorf am Hang bei einem Lassi im Café sitzen, fahren jede Menge Jeeps mit Touristen an uns vorbei die Straße zum Fort hinauf.  Vielleicht doch noch einen Chai trinken? Und dann finde ich im Café ein Buch über Architektur und Stadtplanung von Jaipur und tauche ab… Als 1792 der Mogulfürst Jai Singh II den Brahmanen Vidhyadar beauftragt die Stadt Jaipur anzulegen, wendet dieser für die geplante Stadt das aus der fast 5000 Jahre alten vedischen Tradition stammende Gestaltungsprinzip des „Vastu Shastra“ an. Durch diese Bauprinzipien sollte die kosmische Ordnung eine irdische Analogie finden. Es gibt bei „Vastu Shastra“ Hinweise, wie ein Haus, ein Tempel, eine Stadt, angeordnet und ausgerichtet werden sollen. Komisch, wenn ich in den letzten Tagen vom Rooftop …

Zeitungslektüre 2: In der Luft

The Times of India vom 14.11.2024. Jaipur: Der Jaipur International Airport hat vorgestern 17.768 nationale und 1.949 internationale Fluggäste verzeichnet, das war der „highest single-day traffic ever“. Jaipur: Wegen Smog in der National Capital Region (NCR) mussten gestern neun Flüge auf dem Weg nach Delhi nach Jaipur umgeleitet werden. Die Fluggäste beschweren sich in den sozialen Medien: „Wir stecken seit 4 Stunden im Flug QP 145 fest. Wir dürfen in Jaipur nicht aussteigen. Wir leiden im Flugzeug. Wir wollen was essen.“ In den letzten 12 Monaten haben die indischen Fluggesellschaften 1.700 Flugzeuge bei Airbus und Boeing bestellt. In den letzten 10 Jahren hat sich die Anzahl der regionalen Flughäfen von 70 auf 140 verdoppelt… Der Luftqualitätsindex AQI misst Ozon, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid. Er liegt heute in Jaipur bei 193 (ungesund) in Delhi bei 457 (gefährlich). Die Skala reicht nur bis 500.