Monate: Januar 2025

Kostbare Schönheit

Kein Stoff fasziniert mich so sehr wie Seide. Während meiner Ausbildung zur Schneiderin habe ich am liebsten Hemden und Blusen aus diesem Material genäht. Seide fühlt sich speziell an, sie hat einen „kostbaren Griff“, würde ich sagen, einen ganz eigenen Klang – das Rascheln von Seide – und auch einen besonderen Duft, wenn man sie bügelt (einen Gruß an meine Freundinnen aus der Schulzeit in der Schneiderei, ihr erinnert euch sicher daran). In Hoi An gibt es eine lange Seiden-Herstellungsgeschichte. Vielleicht nicht die knapp 5000 Jahre, auf die China zurückblicken kann, aber immerhin wird hier seit 300 Jahren Seide produziert. Und dazu braucht man eine ganze Menge. Zu allerersteinmal natürlich die Seidenraupen, vielmehr deren Kokons. Und da die Seidenspinner nur Maulbeerbaumblätter fressen, natürlich auch die Kultur der entsprechenden Bäume. 20’000 Raupen fressen rund 500 bis 600 kg Maulbeerblätter. Dafür sind 125 Maulbeerbäume notwendig. Im „Silk Village“ in Hoi An, das früher ein Handwerkerdorf war und heute zu einem Museum geworden ist, können wir den Weg von der Larve zum gewebten Stoff verfolgen. Anmerkung am Rande: …

Tet Nguyen Dan – das Fest des ersten Morgens

Mit „Tet Nguyen Dan“ beginnt in Vietnam das neue Jahr. „Tet“ heißt Fest und es gibt eine ganze Reihe in Vietnam, da dieses aber der wichtigste Feiertag ist, wird er einfach nur Tet genannt. Es ist ein beweglicher Feiertag, der sich nach dem vietnamesischen Mondkalender richtet. Den gibt es schon seit dem zehnten Jahrhundert. Wir haben also hier in Hoi An die Chance, noch eine andere Form von Jahresbeginn kennen zu lernen. Auf drei Phasen dürfen wir uns gefasst machen, die erste davon läuft bereits, die Vorbereitung, und das seit Wochen. Schon Anfang Januar haben wir uns in Hanoi gefragt, warum in manchen Geschäften merkwürdige, riesige Tüten mit goldenen und roten Pappschachteln und Zylindern verkauft werden. Warum überall kleine, bis mittelgroße Kumquatbäumchen und riesige Chrysanthemen am Straßenrand aufgebaut sind. Die Wahrheit ist: Wir haben erst vor einigen Tagen realisiert, was Tet ist und dass es dieses Jahr auf den 29. Januar fällt. Was nicht zu übersehen ist: die Häuser werden überall geputzt und geschmückt. Überhaupt wird alles gefegt, Autos und Motorräder werden gewaschen, Wände nochmal …

Es rundet sich…

… das vietnamesische Mondjahr. Und während ich mit dem Gedanken daran durch Hoi An gehe, fällt mir auf, wie viel runde Vollkommenheit in den Dingen darauf wartet, von uns gesehen zu werden. Und auch, wie oft eine kleine Delle wie ein Fingerzeig ist, eine Erinnerung oder eine Vorahnung, wie etwas rund gewesen ist oder noch werden kann.

Pho

Die Pho (ähnlich ausgesprochen wie das englische Fell, also „fur“, wobei man das r fast verschluckt) stammt ursprünglich aus Hanoi, also aus dem Norden von Vietnam. Ihr Name leitet sich möglicherweise von dem französischen Pot au feu ab. Die Basen der Pho und des Pot au feu stehen mindestens fünf Stunden auf dem Herd, sie sind dadurch wesensverwandt. Es ist morgens in Hoi An, während ich diese Zeilen schreibe. Die Stadt in Zentralvietnam hat zwei große Märkte. Auf dem einen in der Altstadt, mit seiner Markthalle, stoppen die Busse mit den Touristen von den Kreuzfahrtschiffen. Die Busse sind durchnummeriert, Aida 17 usw. Dennoch mögen wir diesen Ort, dazu später mehr. Heute Morgen sind wir auf dem zweiten Markt. Hier verlieren sich nur wenige Fremde. Auf diesem Markt steht ein Schuppen, in dem Schuppen eine Garküche, betrieben von Mutter und Tochter. Hier gibt es nur eine Suppe, eine Pho, für umgerechnet 1,60 Euro, Einheimische zahlen 1,20. Tourizuschlag. Es ist Frühstückszeit. Die Brühe in einem großen Topf mitten im Schuppen, kräftig, pikant, leichte Schärfe. Auf meinem Tisch …

Mrs. Ha oder ausgerechnet Hoi An

Wir sind tagsüber mit dem Zug von Hanoi nach Da Nang unterwegs, von dort geht es weiter nach Hoi An. Die Fahrt auf der berühmten Strecke Hanoi – Saigon dauert rund 17 Stunden, für 750 Kilometer. Jede Bahnfahrt hat ja so ihre nationalen Besonderheiten: In Vietnam werden vor jedem Stop mehrere Lieder im Zug gespielt. In meinen Ohren klingen diese unfassbar laut und kitschig. Die Vietnames:innen allerdings wiegen ihre Köpfe zu der Musik. Überhaupt ist der Kauf von Kopfhörern mit stabilem noise cancelling eine absolut notwendige Anschaffung für Bus- und Zugfahrten, auch in Vietnam. Und: In dem besonderen Speisewagen erhalten wir einen Klumpen Reis mit ein paar Stücken zähem Fleisch, Soßen aus Plastikflaschen, warmes Bier und dazu Eiswürfel. Womit galant zum eigentlichen und unendlichen Thema dieses Beitrages übergeleitet wäre, der Küche in Vietnam… Die richtig schlecht sein kann, trotz ihres Rufes eine der besten der Welt zu sein. Neele ist noch mit uns und Vegetarierin, was die Sache deutlich erschwert. Auf dem Land kann einem dann schon passieren, dass es so richtig trostlos wird. Auch …

Alles auf der Straße… Sidewalk Economy

In Hanoi wie auch in anderen Städten kann man in vielen kleinen Geschäften einkaufen, aber mindestens genauso prägend für die Atmosphäre in der Stadt sind die fliegenden Händlerinnen. Fast alles kann man bei ihnen finden, ob Putzartikel, Geschirr oder Kleidung, Obst, Gemüse oder Blumen. Die Fahrräder oder Wagen sind kunstvoll und ausbalanciert beladen, oft so hoch, dass man die Frauen kaum dahinter sehen kann. Die angebotene Ware soll umfassend und schön präsentiert werden. Im „Vietnamese Women’s Museum“ erfahren wir in einer Dokumentation, wie lang und anstrengend der Tag einer fliegenden Händlerin ist. Gegen 4 Uhr morgens machen sich die Obst- und Gemüsehändlerinnen auf den Weg zum Großmarkt um ihre Ware einzukaufen. Oder die Speisen werden zubereitet. Wenn es gut läuft – also wenn sie ausreichend verkauft haben – können sie am Nachmittag wieder zu ihrer Unterkunft zurückkehren. Häufig bestreiten die Frauen mit ihren Einkünften den Unterhalt der Familie, die oft außerhalb oder am Rande der Stadt wohnt und zu der sie nur in größeren Abständen heimkehren können. Wie viele Städte in Vietnam hat auch Hanoi …

Der Glockenturm

Im Frühstücksraum unsere Homestays hängen Bilder mit den Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Darunter auch ein sehr schöner Turm. „You should see the belltower“, sagt unsere Lady. Das wollen wir. Eine Tagestour mit Rädern durch die herrliche Trang An Gegend. Tho gibt den Tourguide, wir fahren meist auf kleinen Straßen, gelegentlich Schotterwege, durch Dörfer und Weiler. Die Sonne scheint, Plastikplanen werden von den Reisschößlingen abgenommen, die Frauen stehen im nassen Feld und setzen den Reis. Eine friedliche Welt, hier und heute. Wir nähern uns dem Ziel, der Turm ist schon weithin sichtbar, irgendwann gelangen wir zu der Mauer, die das ganze Gebiet umgibt, große beeindruckende Tore, die aber alle geschlossen sind… Wo ist denn der Eingang? Was ist das überhaupt für ein Gelände? Wir kommen als Ahnungslose, vorbereitende Lektüre hat nicht stattgefunden. Also bleibt nur Staunen. Und da gibt es viel. Im Dorf neben dem Gelände weist uns jemand den Weg zum Eingang. Ein riesiges Tor mit Wachmann. Als Radfahrer:innen werden wir von ihm so durchgewunken. Und dann sind wir verloren. Breite Straßen, gesäumt von frisch angelegten …

Gartenliebe

Mit dem Fahrrad auf kleinen Wegen durch die Landschaft in Tràng An zu fahren, ist für mein Gärtnerinnenherz eine große Freude. Natürlich gibt es viel Landwirtschaft mit Reisanbau, auch wenn das, weil hier Winter ist, nicht danach aussieht, weil die jungen Setzlinge noch unter Plastikplanen vorgezogen werden. Dann gibt es hier Bäume und die dazugehörigen Früchte, die ich noch nie in echt gesehen habe. Besonders schön: der Jackfruchtbaum, ein echter Alleskönner! Bisher kannte ich die Frucht nur als Fleischersatz, wofür das Fruchtfleisch seit 2016 nach Europa exportiert wird. In Asien findet alles an diesem Baum Verwendung: aus dem Holz werden Musikinstrumente geschnitzt, die Nüsse der Frucht lassen sich geröstet essen, Das Fruchtfleisch passt zu Currys, unreif wird es zu Pickles verarbeitet. Und das Holz liefert gekocht den gelben Farbstoff für die Roben der buddhistischen Mönche. Blätter, Rinde, Wurzeln, Samen und Milchsaft werden zu Medizin verarbeitet. Und die pickligen Früchte sind richtig groß, man braucht Kraft und ein starkes Messer, um sie aufzuschneiden. Es beeindruckt mich, mit welcher Sorgfalt die Hausgärten angelegt sind und gepflegt werden. …

Tràng An

Herrliches Wetter. Sonnenschein und so 22 Grad, leichtes Lüftchen. Wir cruisen mit unseren Rädern durch die Landschaft bei Ninh Bình. In der Hauptsaison ist es hier proppenvoll, jetzt verlieren sich die wenigen Tourist:innen in den vielen geschmackvollen Homestays. Eine Landschaft wie aus dem Reisekatalog, aus dem vietnamesischen Bilderbuch. Wir sind im Delta des Roten Flusses, der diese Landschaft geformt hat. Dieses Gebiet „Trang An“ ist auch bekannt als „trockene Halong-Bucht“. Ähnlich wie in der berühmten Schwester, der „Halong-Bucht“ im Golf von Tonkin, steigen steile Kalksteinfelsen aus den Reisfeldern auf. Es ist ruhig hier und gemächlich. Der Staat setzt hier auf sanften Tourismus, um den Titel als UNESCO Natur- und Kultur-Denkmal nicht zu gefährden. Das wird eine Herausforderung, denn die Region bereitet sich auf weiterhin steigende Besucherzahlen vor, vor allem aus dem naheliegenden Hanoi, China und Japan. Die Vermüllung der Landschaft durch Plastik hat man hier richtig gut im Griff. Allerdings sieht man an etlichen Stellen am Straßenrand Feuer, in denen auch Plastik verbrannt wird. Das ist in ganz Vietnam immer noch üblich und ein echtes …

Atemberaubend

Wir haben uns Fahrräder geliehen und fahren mehrere Tage durch das Umland von Hanoi. Diese Tage liest man, dass Vietnam in 2024 ein Bruttoinlandsprodukt von rund + 7,1 Prozent hatte. Damit entwickelt sich das Land mit seinen 100 Millionen Einwohner:innen zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit. Was dieses Wachstum für das Land „auf dem Land“ bedeutet, haben wir in den vergangenen vier Tagen auch erlebt. Atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. In nahezu jedem Dorf – und nicht nur dort – wird gebaut: Neue Häuser und Modernisierungen, Wohnanlagen, breite Straßen, Kanalisation, Straßenbeleuchtung, Resorts, Hotels, Golfanlagen, große Wohngebiete, merkwürdige Paläste mitten in der Landschaft. Überall hängen Arbeiter in den Masten und „legen“ Internetzugänge. Wir spüren eine starke Energie bei vielen Vietnames:innen, eine Art Goldrausch. Auf dem Land sind westliche Touristen selten, auf dem Rad erst recht. Überall werden wir deshalb begrüßt, teilweise belächelt. Von den Schulkindern höre ich nach dem obligatorischen „Where do you come from?“ oft und begeistert: „Vietnam, Number One“. Plakate feiern den wachsenden Wohlstand durch Wachstum. Unmengen von schweren Lastwagen transportieren …