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Tage in der Ruelle 4

Es war ja von vornherein klar, in dieser Wohnung würden wir die letzten sieben Tage unserer Reisezeit in Laos sein.

Klar war auch, dass es laut Wettervorhersage am Tag nach unserer Ankunft regnen sollte. Und so kam es. Es fing schon nachts an und regnete den ganzen Tag fast ununterbrochen durch.

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Diese himmlische Erlaubnis, nirgendwohin zu müssen, sondern einfach zu Hause sein zu können und den über Wochen angesammelten Eindrücken irgendwie Ausdruck zu verschaffen.

Meist ist es so: Bevor mich der Horror Vacui überkommt, fange ich lieber mit Blättern an, auf denen schon etwas ist, so dass die Angst vor dem leeren Papier gar nicht erst groß werden kann.

In einem Laden mit einem kuriosen Angebot von Pflanzenschutzmitteln über Zinnkellen bis hin zu Gongs und Gummistiefeln habe ich Papiere mit Silberaufdruck gefunden. Wofür die eigentlich sein sollen, blieb unklar. Es gab nur einen 500er Stapel, aber die Frau war so nett, mir 10 Blätter zu verkaufen.

Gerade gut, um sich warm zu kritzeln in irgendeiner organischen Sprache.
Durch den silbernen Aufdruck reflektieren die Blätter und lassen sich kaum fotografieren.

Noch eine wichtige Inspirationsquelle: Tho liest mir vor. Ein ganzes Buch mit den Kurzgeschichten von dem amerikanischen Autor Zach Williams: „Es werden schöne Tage kommen“. Der Titel postuliert, was die Protagonist:innen in den Geschichten sich vermutlich alle wünschen – während zwischen den Zeilen Einsamkeiten und verpasste Lebensmomente schwingen. Eine allseits mitschwingende Aggressivität und nur flüchtig mögliche Beziehungsmomente verleihen den Geschichten einen abgründigen und verlorenen Klang.

Ich höre zu und lass mich zeichnend überraschen…

Das ist als erste Runde dabei entstanden. (Auf einem anderen Markt hatte ich noch diese Blätter mit Goldaufdruck gefunden).

Es lässt sich für mich kaum rekonstruieren, wie ich von einer Serie zur nächsten komme. In diesem Fall habe ich unten in unserem Haus ein Bücherregal entdeckt und mir kurzerhand ein fotokopiertes Heft mit laotischen Buchstaben und eine Zeitschrift genommen, einfach, weil ich Material brauchte.

Ich wollte die Boden- und Raumlosigkeit der Frauen aus den Goldskizzen fortsetzen, die Posen der Mode-Models aus der Zeitschrift aus dem Kontext nehmen und mit einem Seil als Attribut in einer Serie durchdeklinieren.

Ein ganzer langer Regentag. Das Geräusch der prasselnden Tropfen auf den Blechdächern, ohne Pause. Thos Stimme, die mich – fast hypnotisch – gleichzeitig in Williams Geschichten und in meine Bilder hineinzieht. Linien, Flächen, Schatten entstehen lassen… Partien abdecken, damit etwas durchschimmern kann…. Buchstaben finden und Assoziationen. Weglegen, woanders weiter machen… anschauen… Runde um Runde.

Wie entsteht ein Bildgewebe? Und welche Erzählung?

Jedenfalls braucht es Zeit.

In der Nacht noch eine weitere Serie angefangen. Manchmal ist eine emotionale Welle der Ausgangspunkt für Bilder. Dann geht es schnell, dann wird es heftig, ein lautes Staccato, ein Hämmern des Bleistifts auf Papier. Keine Kontrolle. Tut gut!

Fortsetzung am nächsten Morgen, bis die vier Blätter der Serie „Viva activa“ fertig sind. Diesen Moment nicht verpassen. Wenn noch genug unbestimmter Raum da ist. Aufhören, bevor die Bewegung einfriert oder zugemalt wird.

Mittlerweile liegen vier Ateliertage hinter uns. Die Bilderserien füllen die Wände.

Es ist ein ruhiges Dasein. Eingerahmt vom täglichen Kaffee und Croissant beim französischen Bäcker, vom Mittagessen im Restaurant in „unserer Straße“ und von einem Abendspaziergang zum Food-Market um die Ecke.

Tho liest aus „Bleibefreiheit“. Die Philosophin Eva von Redecker denkt den von uns normalerweise meist räumlich als Bewegungs-Freiheit gedachten Begriff neu: als die Freiheit an einem Ort zu bleiben. So könnte es werden, angesichts der Klimakrise und ihren Folgen.
Während Tho Redeckers Ansatz weiter ausbreitet, folge ich Gewebe zeichnend, verliere manchmal die Gedankenfäden, kann an anderer Stelle wieder anknüpfen, es ist eher ein Mitschwingen als ein genaues Durchdenken. Parallel spiele ich sämtliche Formen von Geweben zeichnerisch durch. Dann will ich mit Papier weben, mit Holzspießen…

Es ist ein Antworten ausprobieren.

Was trägt? Wie dicht muss ein Gewebe dafür sein? Verringern Löcher nur den Schutz oder könnten sie auch Durchblicke bieten?
Welche Rolle könnten Fehler im Gewebe oder Schräglagen spielen?
Tut Ordnung gut? Wieviele Wiederholungen sind das passende Maß? Die geordneten Gewebepartien fallen mir zeichnerisch so schwer! Bin froh um jede Falte.
Wann werden aus Geflechten Verstrickungen? Die zu zeichnen macht mir jedenfalls die größte Freude. Mit Schwung.

Irgendwie ist dieser schöpferische Raum wie schwebend. Von außen klingen die Geräusche von Laos rein, das Singen des Mönches aus dem Tempel von Gegenüber, das Fegen aus dem Innenhof und die Baulärmgeräusche von nebenan, die abends von den Karaoke-Gesängen abgelöst werden.

Gleichzeitig baut uns Tho mit Serge de Molinos „Leeres Spanien“ lesend schon eine Brücke zu der Weltgegend, in der wir von April bis Juni sein werden.

Ich erforsche die Qualitäten und Unterschiede von „Standpunkt“ und „Gewebe“ in Collagen…
bin noch mittendrin…

An einem Abend schreibe ich erste Sätze für diesen Beitrag. Tho dazu: du bist aber auch so monsterkreativ! Kannst du nicht mal entspannen und was gucken, Sesamstraße oder so?

1 Kommentare

  1. Monika sagt

    “monsterkreativ“ und “sesamstrasse“ ha, ha, ha….tolle kombi…..regentage sind was herrliches. bin gespannt auf deine gwebten blätter!

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