Alle Artikel in: Reisenotizen

Gartenliebe

Mit dem Fahrrad auf kleinen Wegen durch die Landschaft in Tràng An zu fahren, ist für mein Gärtnerinnenherz eine große Freude. Natürlich gibt es viel Landwirtschaft mit Reisanbau, auch wenn das, weil hier Winter ist, nicht danach aussieht, weil die jungen Setzlinge noch unter Plastikplanen vorgezogen werden. Dann gibt es hier Bäume und die dazugehörigen Früchte, die ich noch nie in echt gesehen habe. Besonders schön: der Jackfruchtbaum, ein echter Alleskönner! Bisher kannte ich die Frucht nur als Fleischersatz, wofür das Fruchtfleisch seit 2016 nach Europa exportiert wird. In Asien findet alles an diesem Baum Verwendung: aus dem Holz werden Musikinstrumente geschnitzt, die Nüsse der Frucht lassen sich geröstet essen, Das Fruchtfleisch passt zu Currys, unreif wird es zu Pickles verarbeitet. Und das Holz liefert gekocht den gelben Farbstoff für die Roben der buddhistischen Mönche. Blätter, Rinde, Wurzeln, Samen und Milchsaft werden zu Medizin verarbeitet. Und die pickligen Früchte sind richtig groß, man braucht Kraft und ein starkes Messer, um sie aufzuschneiden. Es beeindruckt mich, mit welcher Sorgfalt die Hausgärten angelegt sind und gepflegt werden. …

Tràng An

Herrliches Wetter. Sonnenschein und so 22 Grad, leichtes Lüftchen. Wir cruisen mit unseren Rädern durch die Landschaft bei Ninh Bình. In der Hauptsaison ist es hier proppenvoll, jetzt verlieren sich die wenigen Tourist:innen in den vielen geschmackvollen Homestays. Eine Landschaft wie aus dem Reisekatalog, aus dem vietnamesischen Bilderbuch. Wir sind im Delta des Roten Flusses, der diese Landschaft geformt hat. Dieses Gebiet „Trang An“ ist auch bekannt als „trockene Halong-Bucht“. Ähnlich wie in der berühmten Schwester, der „Halong-Bucht“ im Golf von Tonkin, steigen steile Kalksteinfelsen aus den Reisfeldern auf. Es ist ruhig hier und gemächlich. Der Staat setzt hier auf sanften Tourismus, um den Titel als UNESCO Natur- und Kultur-Denkmal nicht zu gefährden. Das wird eine Herausforderung, denn die Region bereitet sich auf weiterhin steigende Besucherzahlen vor, vor allem aus dem naheliegenden Hanoi, China und Japan. Die Vermüllung der Landschaft durch Plastik hat man hier richtig gut im Griff. Allerdings sieht man an etlichen Stellen am Straßenrand Feuer, in denen auch Plastik verbrannt wird. Das ist in ganz Vietnam immer noch üblich und ein echtes …

Atemberaubend

Wir haben uns Fahrräder geliehen und fahren mehrere Tage durch das Umland von Hanoi. Diese Tage liest man, dass Vietnam in 2024 ein Bruttoinlandsprodukt von rund + 7,1 Prozent hatte. Damit entwickelt sich das Land mit seinen 100 Millionen Einwohner:innen zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit. Was dieses Wachstum für das Land „auf dem Land“ bedeutet, haben wir in den vergangenen vier Tagen auch erlebt. Atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. In nahezu jedem Dorf – und nicht nur dort – wird gebaut: Neue Häuser und Modernisierungen, Wohnanlagen, breite Straßen, Kanalisation, Straßenbeleuchtung, Resorts, Hotels, Golfanlagen, große Wohngebiete, merkwürdige Paläste mitten in der Landschaft. Überall hängen Arbeiter in den Masten und „legen“ Internetzugänge. Wir spüren eine starke Energie bei vielen Vietnames:innen, eine Art Goldrausch. Auf dem Land sind westliche Touristen selten, auf dem Rad erst recht. Überall werden wir deshalb begrüßt, teilweise belächelt. Von den Schulkindern höre ich nach dem obligatorischen „Where do you come from?“ oft und begeistert: „Vietnam, Number One“. Plakate feiern den wachsenden Wohlstand durch Wachstum. Unmengen von schweren Lastwagen transportieren …

Architektur 5: Hanoi und das Röhrenhaus

Schmal und grazil reihen sich die Häuser in Hanois älteren Stadtteilen aneinander. Jedes Röhrenhaus ist mit der unterschiedlich gestalteten Fassade ein Individuum und zugleich Teil des urbanen Bautypus. Es heißt, dass im 19. Jahrhundert die französischen Kolonialherren die Steuern auf die Fassadenbreite eines Hauses angerechnet haben. Das führte dazu, dass die Häuser schmale Vorderseiten von 2,5 bis 4 m bekamen, dafür aber bis zu 50 m in die Tiefe des Blocks wuchsen. Im Erdgeschoss befinden sich zur Straße hin Werkstätten und Geschäfte, die teilweise fließend übergehen in Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsräume. Je nach Haustiefe folgen kleine Innenhöfe, die für weiteren Lichteinfall und Luftzirkulation sorgen. Nach hinten raus liegen Küche und Bad. Das Dachgeschoss hat oft eine überdachte Terasse. Häufig wurden und werden die Röhrenhäuser etagenweise von je einer Familie bewohnt oder das ganze Haus als Mehrgenerationenhaus, wobei die Familie dann oft im Erdgeschoss einen Laden oder eine Werkstatt betreibt. Das gilt insbesondere für die Altstadt von Hanoi, wo zwischenzeitlich die Bewohner:innendichte so hoch war, dass für jede Person nur 1.5 qm blieben. Wurde weiterer Platz …

Schockverliebt

Im Zentrum von Hanoi verändert der Tourismus gerade das Gesicht der Stadt. Es wird zunehmend chick und hipp, glatt und teurer. Die Tourist:innen navigieren sich mit ihren Handys durch die Stadt, von hot spot zu hot spot, dabei immer in der Gefahr gegen den nächsten Lichtmast zu laufen. Das obligatorische Ritz-Charlton öffnet demnächst und diese mit Werbung beklebten Touristenzüge tingeln auch schon durch die Straßen mit quäkenden, aufgezeichneten, englischen Erläuterungen zum „See des zurückgegebenden Schwertes“. Und alle pilgern zu der berühmten, weil instagrammable, kurzen Bahnstrecke, wo die Züge durch die engen Gassen knapp an den Cafés vorbeifahren. Mittlerweile wegen Überfüllung allerdings problematisch. Aber nicht nur der Tourismus schlägt zu. Das kommunistische Vietnam befindet sich seit längerem in einer enormen wirtschaftlichen Wachstumsphase ähnlich dem ehemaligen chinesischen Modell. In Kürze: Wohlstand ohne Freiheit, so ist der Deal. In der Rangliste der Pressefreiheit liegt das Land auf den letzten Plätzen. Aber sie sind alle da: Gucci, Apple, KFC schon länger, Uniqlo, Shoppingmalls… Auffallend und nicht überraschend die vielen deutschen Limousinen der Oberklasse, die von den chinesischen Konkurrenz bekommen. …

Zwischenraum

Die Fahrer um die Ecke streiten sich, wer uns fährt. Ein letztes Mal das übliche Verhandeln: 200! 150! Mit dem Tuk-Tuk geht es dann zum Abfahrtsort in Pondicherry. Wir fahren von dort mit dem Elektrobus die drei Stunden nach Chennai und nehmen in der ersten Sitzreihe Abschied von Indien. Der Fahrer brettert über die Landstraßen und selbst die fetten SUVs „springen“ zur Seite. Und wie sagt man an dieser Stelle immer: „Die Landschaft zieht an uns vorbei“. Vor Chennai verstopfen sich die Straßen. Überall wird gebaut: Hochstraßen, Hochhäuser, Metrolinien…und abgerissen, um Platz zu schaffen für das Neue. In ein paar Monaten wird sich das Land sehr verändert haben. Wir nehmen die nagelneue und fast leere Metro zum modernen Flughafen von Chennai. Flughäfen sind ja neutrale Zwischenräume. Sie gehören zu keinem Land und dessen Kultur, sehen überall gleich aus. So eine Art Kathedralen und Wartehallen der Globalisierung, Verteilungsstellen. Mit unseren letzten Rupien bestellen wir an der leeren Bar zwei Bier, zwei „British Empire“, die ein halbes Vermögen kosten. Auf den Bildschirmen flimmert Fußball, indische Liga vor …

Ein besessener Blick: vor & zurück

Wer den Rückblick und das Fazit am Ende des Jahres liebt oder wer meint, das schadet nicht oder wer Lust auf Reflexion und Ausblick hat, kann sich gerne setzen (Achtung bei der Stuhlauswahl!) und es mit folgenden Versatzstücken probieren. Könnte auch im Austausch gut sein. Bitte keinesfalls weiterlesen, wenn eine Aversion gegen Jahresrückblicke und Fragen besteht! Welche Themen wirkten im vergangenen Jahr wie „täglich grüßt das Murmeltier“, weil du dich auf einem Drehsitz niedergelassen hast? Vielleicht ohne es zu merken? Und war das gut oder anderswie? Bei welcher Gelegenheit ging es darum, direkt in den Spiegel zu schauen und dann klar zu entscheiden: das kann ab oder weg – oder was sonst noch? Hast du es dann selbst gemacht oder hast du dir Unterstützung gesucht? In welchen Momenten blieb einfach nur der Rückzug in ein Eckenhocken – weil es dir am sichersten oder angenehmsten erschien? Gerne auch zu zweit und möglichst eng… Anders gefragt: gab‘s Cocooning oder Leben in der Blase? Wie war das? Welche Themen hast du auf die lange Bank geschoben und liegen …

Ungeklärte Posten

Nach zweieinhalb Monaten in Indien ist vieles, was uns anfangs fremd erschien, mittlerweile verständlich und vertraut geworden. Aber es gibt noch eine ganze Reihe ungeklärter Posten oder Besonderheiten, deren Schönheit unbedingt bewahrt werden soll. Wieso werden in einige alte Bäume gefüllte Plastiktüten gehängt? Ist das möglicherweise Arbeitskleidung, die vor Tieren geschützt werden soll? Oder eine Opfergabe an die Baumheiligen? Das könnte bei den bunten Tüchern oder Saris eher der Fall sein. Im Indian Coffee House haben die Männer, und zwar nur die alten Männer, die Angewohnheit, ihren Kaffee aus der Tasse auf die Untertasse zu gießen und ihn dann genüßlich zu schlürfen. Wozu gibt es dieses Verkehrsschild? In Indien bleibt vieles in Plastik eingepackt, die Stuhlbeine, die Fernseher, die Matratzen, die wertvollen Handtaschen, die Autositze, die Armaturen im Tuk-Tuk… Es gibt hier kaum Klopapier, stattdessen eine Brause mit kräftigem Strahl. Deren optimale Anwendung ist uns noch immer nicht ganz klar. Es ist in Indien üblich, mit der Hand zu essen. Nicht nur im privaten Raum, sondern auch im Restaurant. Inder:innen essen grundsätzlich nur mit der …

Architektur 4: Wohnen in Tamil Nadu

Obwohl Tamil Nadu genau wie Kerala im Süden Indiens mit jeder Menge Monsunregen umgehen muss, ist die Architektur eine ganz andere. Egal ob auf dem Land oder in der Stadt, alle neueren Häuser haben Flachdächer, die Dachterassen sind wegen des Regens vermutlich mit Abflussmöglichkeiten ausgestattet. Auf dem Land kann man noch die traditionelle Bauweise mit Palmblättern bei kleinen Wohnbehausungen sehen – und nur bei diesen Gebäuden finden sich Satteldächer, bei denen der Regen gut ablaufen kann. Die Dächer erinnern an unsere Reetdächer. Es gibt auch aus Kokospalmwedeln kunstvoll geflochtene Wände und Dächer. Diese Dächer halten nicht ewig, aber wir sehen auf unseren Fahrten übers Land entweder den Verfall oder das Abdichten durch übergezogene Plastikplanen oder durch Wellblechdächer.Vermutlich wird diese Form der Hausbaukunst verloren gehen. Typisch für die Wohnbauten in und um Pondicherry ist die Freude der Bewohner:innen an kräftigen Farben. Stadtviertel wie Dörfer wirken freundlich, bunt und einladend. Durch die 1 – 5 Treppenstufen gibt es einen halböffentlichen Raum, der als Begegnungsort in den etwas weniger heißen Spätnachmittagsstunden gerne genutzt wird. Häufig wird unter der …

Wo der Pfeffer wächst

Kurz vor Weihnachten erreicht mich aus Bayern eine Nachricht, mit Folgen. Meine Kollege Michael und seine Frau schreiben: „Kurzer Nachtrag noch: Pondicherry – dort gibt es einen der besten Pfeffer der Welt“. Mit dieser Nachricht beginnt eine kleine und wunderbare Odyssee. Ist das dieser Pfeffer, der die obige der drei Saucen vor uns so köstlich prägt? Ist der rot? Wie sieht eigentlich eine Pfefferpflanze aus? Wo wächst der Pfeffer? Fragen über Fragen. Auf Nachfrage schreibt mir Michael: „Bei uns unter Pondicherry-Pfeffer bekannt. Halte nach den roten Beeren Ausschau. Hier einer der teuersten Pfeffersorten, die es gibt“. Wir machen uns am nächsten Tag auf den Weg, mit dem Moped in das Hinterland von Pondicherry. Auf der Suche nach dem „Pondi-Pfeffer“. Wir fahren früh los. In der Nacht hat es geregnet und es ist bedeckt. Düfte in der frischen Luft, sobald wir aus der Stadt sind. Kaum Plastikmüll. Die Menschen sind auf den Straßen. Eine berührende fröhliche Atmosphäre, überall winkt und ruft man uns zu. Ein Fest am Dorftempel: Junge Männer malen ein kommunistisches Graffiti an die …