Alle Artikel in: Reisenotizen

Um die Ecke: Taj Biryani

Unser Appartement in Kolkata liegt im 5. Stock. Der kleine Fahrstuhl hat zwei Gittertüren, die zur Seite geschoben werden müssen. Dann ruckeln wir mit ihm nach unten, direkt in die dunkle Einfahrt des Hauses. Tritt man aus dem Haus ins Tageslicht, auf die Straße, macht es Bähm! Die etwa sechsspurige Lenin Saranin Road trifft auf zwei ebenso breite Straßen. Dieses Inferno 50 Meter vor unser Haustür ist Moulali Crossing und direkt an ihr befindet sich das Restaurant Taj Biryani, unser Imbiss um die Ecke. Offen zu allen Straßenseiten, hässlich, dreckig und es gibt nur wenig von dem, was auf der Karte steht. Unsere ersten Essen dort waren die üblichen Biryani: Vor dem Garen angebratener Reis mit Kartoffeln und Fleisch vom Huhn oder Lamm. Eigentlich muss man ein Biryani mit den Händen kräftig mischen, fast kneten. Dann entsteht mehr Sauce. Wir hantieren aber immer noch umständlich mit Plastiklöffeln. Bi mag die Rolls dort, hat etwas vom Sielwalleck in Bremen. Erste Gesprächsversuche, eigentlich mehr Zeichensprache. Der Chef mag uns und auch unser Trinkgeld, wir ihn und sein …

Um die Ecke: der Markt

4,5 Millionen Menschen wollen täglich mit Nahrung versorgt werden in Kolkata. Diese Größenordnung finde ich schwer vorstellbar. Wie soll das gehen? Es ist ja keinesfalls so, dass es in der Stadt oder an den Ausfallstraßen große oder überhaupt Supermärkte gäbe wie bei uns, sondern hier wird fast alles Lebensnotwendige auf den Märkten eingekauft, die es in jedem Viertel gibt. Nur noch mal als Vorstellungshilfe zur Größe Kolkatas: es gibt 144 durchnummerierte Wards (Stadtteile) mit 18.000 – 100.000 Bewohner:innen. (Den Wiener:innen unter uns dürfte das vertraut sein, an der Nummer des Stadtteils weiß man sofort, woher jemand kommt.) Natürlich mögen wir den Markt bei uns um die Ecke im Ward 51 besonders gern. Ab circa 6:00 Uhr, wenn es hell hier wird, werden die Plätze aufgebaut. Stände gibt es nie, die Ware wird auf dem Boden ausgebreitet, oft liebevoll sortiert und gestapelt. Ein Fest fürs Auge, so viele leuchtende Farben, so viel frisches Grün! Und natürlich ganz schön viele Fragezeichen? Was sind das für Gemüsesorten, die da neben den Auberginen, Gurken und Blumenkohlen liegen? Da muss …

Chai

Masala Chai „bezeichnet in ganz Südasien ein Getränk aus Schwarztee, Milch, Zucker und einer Gewürzmischung.“ Soweit die Fakten. Chai ist aber deutlich mehr. In Kolkata geht derzeit so gegen sechs die Sonne auf. Die Stadt erwacht nur langsam und frühestens gegen neun ist sie auf der üblichen Betriebstemperatur. Diese drei Stunden am Morgen sind magisch: die Menschen kommen aus ihren Häusern, aus ihren Verschlägen, aus ihren Verkaufsständen, in denen sie die Nacht verbracht haben. Es ist noch relativ kühl, etwas unter 30 Grad. An den Wasserstationen sammeln sich die Männer zu einer ausgiebigen Waschung. Man kennt sich, grüßt sich. Plausch hier, Plausch da. Es scheint, das tägliche Getöse des Verkehrs verdeckt eine fast dörfliche Kultur, mitten im Zentrum der Stadt. Wobei Kolkata eigentlich ein einziges Zentrum ist. Einige Stände bereiten ihren Chai über Kohleöfen zu. Und so vermischt sich auf der Straße am frühen Morgen der leichte Kohlegeruch mit den Aromen von Zimt, Ingwer, Sternanis, Kardamon, schwarzer Pfeffer, Nelke und Macis. Nun ist Chai natürlich nicht gleich Chai. 1. Wir trinken ihn nur aus den …

Einsteigen – Aussteigen

Kolkata hat eine Metro, die in diesem Jahr ihr vierzigjähriges Jubiläum feiert. Die ganze Stadt wartet auf die Eröffnung einer weiteren Linie, die auch endlich den riesigen Bahnhof Howrah auf der anderen Flussseite anbindet. Bis zur Eröffnung der neuen Metrolinie staut sich der Verkehr jeden Tag auf der Howrah Bridge, die über den Fluss Hugli führt. Alternativ kann man sich von unzähligen Fähren über den großen Fluss setzen lassen. Metro und Fähre zeigen das gleiche Phänomen. Kaum steht die Metro still und hat die Fähre angelegt, strömen die Menschen hinein. Das offensichtliche Problem: die Menschen kommen nicht raus. Es gilt keineswegs die Regel, erst aus- und dann einsteigen. Das stresst mein deutsches Ordnungsgefühl, ist aber auch lustig, weil es jedes Mal zu regelrechten Verstopfungen kommt. Anders nun in den unzähligen uralten, lauten und qualmenden Bussen. In jedem Bus gibt es einen Türpförtner und Zeremonienmeister in einer Person. Ein Pförtner allerdings ohne Tür, weil diese in Kalkutta entfallen. Der Mann steht während der Fahrt mit wehenden Haaren im offenen Eingang des Busses. Er sorgt dafür, dass …

Diwali

Seit Tagen wird das Lichterfest vorbereitet. Überall! Die Bambusgerüste für die „Pandals“ bekommen Verkleidungen aus Stoff oder dünnen Brettern. Verzierungen, Blumen und vor allen Dingen die Beleuchtung kommen dazu. Und tatsächlich hat jede Straße, jedes Viertel seine eigenen Pandals gebaut: Zu Diwali kommen die Familien zusammen und schmücken ihre Häuser mit vielen Lichtern, die vor die Tür oder ins Fenster gestellt werden. Dabei gibt es heute alle Varianten: von der traditionellen Tonschale als Öllämpchen bis hin zur schnell getakteten grellbunten Lichterkette ist alles zu finden. Gefeiert wird der Sieg des Guten über das Böse in der Welt – auch der Sieg des Lichts über die Dunkelheit… Ein Fest in ganz Indien, aber je nach Region werden dabei unterschiedliche Göttinnen und Götter aus dem reichen hinduistischen Himmel geehrt. In Kolkata ist es die schwarze Kali. Sie gilt als die Göttin des Todes, der Zerstörung und der Erneuerung. Der Mythos erzählt, dass sie als Verkörperung des Zorns aus der Stirn der Göttin Durga entsprungen sei und dann das Weltall mit ihrem schrecklichen Brüllen erfüllt hat. In jedem …

green salad…

Über das Zweitwichtigste haben wir bis jetzt noch nicht geschrieben, aber jetzt! Natürlich gab es „Spannungen“ zwischen uns, wer darüber schreiben darf… die Lösung war dann nach ein paar mißtönigen Bemerkungen einfach: wir schreiben beide. Wichtige Frage: Wo gibt es gutes Essen? Wo sind die Restaurants? Anfangs waren sie gar nicht so leicht zu entdecken, unscheinbare Türen oder Treppen in den ersten Stock… dafür aber ganz unmittelbar sichtbar: die unzähligen Garküchen am Straßenrand. Und dann bestellen: Die wunderschöne Alphasyllabar-Schrift können wir nicht lesen und in den Garküchen gibt es meist überhaupt keine Karte. Das indische Englisch klingt für uns oft wie eine unverständliche Fremdsprache und anfangs wussten wir auch die Namen der Gerichte nicht. Also bleibt die Verständigung durch einen Fingerzeig auf den Teller des Gastes am Nebentisch – verbunden mit einem Nicken: das möchte ich auch – eine gute Variante. Auf diese Weise kamen wir zu unserem ersten indischen Frühstück: Parathas = gebackene Brotfladen mit ein bisschen Kartoffelcurry. Herrlich! In jedem noch so kleinen Restaurant gibt es in einer Ecke ein Waschbecken, bevor man …

Fremd sein 1: grundsätzlich

Ist ja klar, wie soll es anders sein, wenn wir in einem fernen Land ankommen… alles neu, so viele Eindrücke, Fragen und Anforderungen. Jep, fühlt sich nicht immer gut an, das Fremdsein. Nicht zu wissen, wie so etwas selbstverständliches wie Busfahren geht. Oder wo Toiletten zu finden sind. Aber auch: immer auffallen in den Straßen als Fremde, nicht sicher fühlen, wie Blickkontakt sein kann oder Begegnung. Oder basal: was es hier zum Frühstücken gibt und so weiter… Wie die eigene Resonanz dazu ist? Ich bin überrascht, wie sehr ich hier unentwegt nach Orientierung suche, um nur nicht ausgeliefert zu sein oder verloren zu gehen in dieser fülligen Fremde. Und deswegen keine Gelegenheit auslasse, mir vertraute Momente zu schaffen. Wie das geht? Indem Tho und ich ein zweites Mal durch die gleiche Straße gehen, indem wir denselben Obsthändler aufsuchen, der uns beim letzten Mal schon so prachtvolle Zimtsäpfel verkauft hat und sich an uns erinnert. Genauso wie der Wirt des Straßenimbiss, bei dem wir abends essen. Was auch hilft: mich auf Google Maps immer wieder versichern, …

werden & vergehen 1

Es geschieht an den großen Straßen, in kleinen Seitengassen oder an Straßenecken. Nicht immer ist klar, ob es sich um den Aufbau oder den Abbau handelt, meist sind mehrere Männer beteiligt. Das Material ist einfach: Bambus und bunte Bänder. Beides wird auf ebenso schlichte wie geniale Weise miteinander verbunden, so dass eine unglaubliche Vielzahl an Bühnen, Baldachinen oder Gebäuden entstehen kann. Als wir am ersten Tag mit dem Taxi vom Flughafen nach Kolkata fuhren, haben wir uns gewundert, warum entlang der Straßen diese großen Gerüste aufgebaut waren, warum es große, knallbunt leuchtende Tempel gab, die keinerlei Anzeichen von Verfall zeigten, während nebendran alle Gebäude gerade mal mit morbidem Charme glänzen konnten. „Durga Puja“ war dann des Rätsels Lösung. Das jedes Jahr Anfang Oktober stattfindende Fest zur Ehren der Göttin Durga ist in Kolkata sogar das wichtigste Fest des Jahres. Wikipedia befragt: Durga wird als mütterliche Figur gesehen und oft als schöne Frau dargestellt, die auf einem Löwen oder Tiger reitet, mit vielen Armen, von denen jeder eine Waffe trägt, und die Dämonen besiegt. Das Fest symbolisiert …

Zeitungslektüre 1: Hansi Flick

Wir lesen hier die indische Ausgabe des „The Telegraph“. Die Papierausgabe gibt es morgens an der Straßenecke. Das ist in der Stadt der Handys so richtig Old School, aber auch lässig, so mit der Zeitung unterm Arm und es trainiert mein schlechtes Englisch. Mein erster Blick geht dann, wie zu Hause auch, in den Sport. Die Wochenendausgabe des Telegraph hat heute drei Sportseiten. Wir sind in Indien, in Westbengalen, in Kolkata und wer guckt mich neben der Headline an? Genau. Hansi. „Ancelotti und Flick ready for clasico battle.“ Dann folgt zunächst auf der ersten Seite ausführlich alles zu Cricket. Was mich nicht wundert, weil die Jungen hier, wenn es der Verkehr zulässt, ihre langen Schläger auf den Straßen schwingen, am Sonntag auf den wenigen breiten „Boulevards“ und in den schmalen Gassen von Old-Kalkutta. Das hiesige Stadion Eden Gardens fasst 68.000 Zuschauer! Ansonsten dreht sich aber alles um den Fußball: Hansi, Mourinho, Fenerbahce, Pep, Messi, de Bruyne, Yamal…. Beim Chai kann man mit den Einheimischen so richtig fachsimpeln über einen Sport, der hier nur wenig gespielt …

Wenn es leise wird…

in dieser Stadt, dann kann es daran liegen, dass man unverhofft in „Old Calcutta“ gelandet ist. Es ist nach den lauten Hauptstraßen unfassbar wohltuend durch diese schmalen Gassen zu laufen, durch die nur Menschen gehen und gelegentlich Fahrräder oder Lastenräder rollen. Dass es das hier gibt… und dazu wirkt es für Kolkata- Verhältnisse irgendwie geordnet, ja sogar schön! Die Gebäude wurden meist Anfang des 20. Jahrhunderts im Kolonialstil gebaut. Teilweise tragen sie die Spuren ihres Alters deutlich, aber mit Charme, an manchen Stellen sieht man sie neu gestrichen oder sogar saniert. Die Bewohner scheinen ihr Viertel auch zu mögen. Während wir morgens durch die Gassen laufen, liegt der vom Vortag angefallene Müll schon zu Haufen zusammen gekehrt am Rand und wartet darauf, von den Lastenräder-Müllmännern mitgenommen zu werden. Natürlich gibt es auch in diesem Viertel an jeder Ecke einen Teestand. Der Chai wird auf einem kleinen Kohleofen gekocht, der würzige Duft nach Zimt und Nelken lädt schon von weitem zu einer Pause ein. Auf einer Bank sitzend, trinken wir den Chai mit Milch aus kleinen …