Autor: Thorsten

Miles

Das „Kazenone“ ist eine Bar um die Ecke oder mehr eine Kooperative. In einer Seitenstraße, klein, von außen kaum erkennbar. Wir trinken heißen Shochu, ein Schnaps aus Süßkartoffeln. Daisuke macht Oden, ein Gericht der Winterzeit: Ei, Winterrettich, Teufelszunge und Chikuwa in wenig Brühe. Wir plaudern über Deutschland und Japan, über Perfect Days von Wim Wenders, über Trump, über Jugendherbergen. Über besondere japanische Drucktechniken. Mir wird die Kyoto-Schule vorgestellt, die in Japan erstmalig die Auseinandersetzung mit der westlichen Geistestradition beginnt und das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und wir feiern einen Geburtstag. Draußen regnet es, bei null Grad. Wir wechseln zu einem umwerfenden Sake. Und ja, ich rauche seit fünf Monaten meine erste Zigarette, eine. Meine Körpergröße beeindruckt. Finger- und Armlängenvergleiche sind da unbedingt notwendig. Und wir hören Miles, von Vinyl. Keine Musik passt besser zu diesem Abend.

Keihan Main Line

Vom Kansai-Airport mit der Nankai-Kuko Line bis zur Tengachaya Station, von dort mit der Sakaisuji Line bis zur Kitahama Station, weiter mit der Keihan Main Line bis zur Demachiyanagi Station. Japan begrüßt mich mit einer wunderschönen Bahnfahrt heraus aus der Bucht von Osaka bis nach Kyoto. Die Fahrt dauert zwei Stunden und spätestens als ich an der Kitahama Station in die Keihan Main Line umsteige, bekomme ich einen ersten Eindruck von japanischer Ästhetik und Lebensweise. Wir gleiten durch die Landschaft in einem Wagon der Elegant Saloon 8000 Series. Öffnen sich leise die Türen, hört man dezente Musik an jeder Station, Vogelgezwitscher. Die Menschen sprechen leise miteinander. Ein lautes Handygespräch wäre hier undenkbar, das merkt man sofort. Die Durchsagen werden durch die Polster gedämpft. Der Schaffner trägt die berühmten weißen Handschuhe und bewegt sich elegant durch die Gänge. Auf dem Boden fällt ein Stück Plastik auf. Sabi ist ein Ideal japanischer Ästhetik und meint die Schönheit natürlicher Patina und Alterung oder besser: die Schönheit im Laufe der Zeit. Durch den Gebrauch der Dinge werden sie schöner. …

Morgengrauen

Die Beiden tanzen eher mit ihren Reinigungsmaschinen durch den Flughafen, flirten über ihre schwarzen Masken hinweg, immer dann, wenn sie sich mit ihren Geräten wieder begegnen. Die mögen sich so richtig. Ein junges Paar, schöne Bewegungen und viel Freude, laotisch. Bi ist gerade abgehoben in Richtung Heimat und ich habe noch einige Stunden vor mir, hier im kleinen Flughafen von Vientiane. Neun Stunden genau, bevor mein Flug geht. Draußen 38 Grad, drinnen fast kühl. Auf dem großen Bildschirm läuft Tennis, die Austin Open. Eine Jessica Parker freut sich gerade über ihren Sieg. Die Balljungen stehen Spalier. Pokalübergabe, Dankesrede. Freudentränen. Alles ohne Ton. Danach ein Radrennen durch die Wüsten von Oman. Das hat schon fast was Meditatives. Neben mir zwei quicklebendige und redefreudige Frauen aus Deutschland, mein Alter. Mit mir kann man ja so schlecht einfach nur plaudern. Dabei würde ich gern, kann aber nicht. Ich beherrsche diese Kulturtechnik nicht. Ein großes Schauspiel, ein großes Tohuwabohu, ein Kommen und Gehen bis tief in die Nacht. Die verschiedenen Teams des Flughafens scheinen mir nach den Stunden vertraut, …

Imperial

Wir sind umgezogen, drei Straßen weiter in die Ruelle 4, weiterhin im zentralen Stadtteil Haysok von Vientiane. An der Ecke unserer Straße gibt es eine Einrichtung der EU. „Let´s explore how the 27 countries of European Union say hello!“ klärt ein Plakat an der Außenwand auf. Alles nicht einladend und auf den ersten Blick irgendwie kurios, aus der Zeit gefallen. 50 Jahre nach Kriegsende ist Laos mit seinen gut 7 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen eines der ärmsten Länder Asiens. Seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Laos noch einmal ärmer geworden. Das Land befindet sich in einer schweren Krise und steht kurz vor dem Staatsbankrott. Die Preise haben sich durch eine starke Inflation in den letzten Jahren verdoppelt. Deutschland hat Laos in den Jahren 2021-2025 mit rund 131 Mio. Euro unterstützt, im Rahmen der Strategie „Green Initiative“ der EU. Mit den Mitteln der EU über insgesamt knapp 600 Mio. Euro wird vor allem die Weiterentwicklung einer grünen und inklusiven Wirtschaft in Laos unterstützt. Vor ein paar Tagen war ein Vertreter der EU in Vientiane …

COPE

Gegen dessen Ende waren alle Militärexperten und Militärs in den USA der gleichen Meinung: der sogenannte Vietnamkrieg sei nicht mehr zu gewinnen. Nur Richard Nixon und Henry Kissinger sahen dies anders und befahlen, entgegen eindeutiger Expertisen, noch weitere heftige Bombardierungen, auch und vor allem auf Kambodscha und Laos. Der Ausgang des Krieges, der hier in Laos der Amerikanische Krieg genannt wird, ist bekannt. 2016 besucht Barack Obama das COPE Visitor Center hier in Vientiane, der Hauptstadt von Laos. In seinem Redemanuskript finden sich die folgenden Worte und Fakten: „Over the course of roughly a decade, the United States dropped more bombs on Laos than Germany and Japan during World War II. Some 270 million cluster bomblets were dropped on this country… By some estimates, more bombs per capita were dropped on Laos than any other country in the world.“ Achtzig Millionen der Cluster-Bomben sind damals nicht explodiert und lagen am Ende des Krieges 1975 auf den Feldern, in den Wäldern, in Dörfern und in Flüssen. Deren Beseitigung dauert bis heute an, 50 Jahre nach dem …

Fomo und Jomo

Das kleine Städtchen Luang Prabang ist voller Touristen. Vor allem Chinesen, aber auch Franzosen und Deutsche, sehr viele junge Menschen, die in der Regel zwei bis drei Tage bleiben. Man kann das ja auch „googeln“. Frage: „Wie viele Tage sind genug für Luang Prabang?“ Antwort: „Man kann alles in zwei Tage packen, aber wenn Sie sich Zeit lassen, stressfrei bleiben und alles sehen möchten, was Luang Prabang zu bieten hat, würden wir einen Aufenthalt von drei Tagen empfehlen.“ Das oder ähnliches sagt das Netz und der Hauptstrom der Touristen scheint dem zu folgen. Wir sind hier irgendwie hängengeblieben. Wenn wir Morgen an Bord des Bootes gehen, das uns auf dem Mekong in den Süden Richtung Vientiane bringt, waren wir zwei Wochen hier und der Abschied wird uns schwerfallen. Lange haben wir mit dem Ort gefremdelt, haben zwei Tage mit Fieber & Co im Bett verbracht. Ein Hauch von „The fear off missing out“, kurz: Fomo. Wir waren eigentlich die gesamten ersten Tage auf dem Sprung. Dann sind wir vor dem Trubel hier abgetaucht. Die Zeit fing …

Kuang Si

Um es vorweg zu nehmen, wir haben es nicht bis zum Wasserfall von Kuang Si geschafft. Wir sind früh los, mit dem Moped raus aus Luang Prabang. Auf dem kleinem Markt am Stadtrand sind wenige Stände schon geöffnet. Ich esse einen Eintopf, der Magen von Bi ist noch nicht so weit. Sie besorgt kleine Bananen für die Fahrt. Es geht weiter. Vorbei an den noch schlafenden chinesischen Resorts vor den Toren der Stadt, den noch ruhenden Baustellen, auf denen weitere seelenlose Bauten entstehen. Von Chinesen für Chinesen. Eine nach der anderen fräst sich in die Berge. Hinter den Bergen wird es jetzt heller, es bleibt aber bedeckt. Die Schlaglöcher nehmen zu, der Asphalt wird brüchig bis er ganz verschwindet. Die Straßen werden zu Schotterstraßen, die uns in die Berge bringen, so steil, dass unser Moped ganz schön kämpfen muss. Kaum noch Autos, die den Sand aufwirbeln und uns so richtig einnebeln. Mit uns fahren die Laot:innen auf Mopeds in ihre Dörfer in den Wäldern, in den Bergen oder in die Stadt. Wir stoppen das erste …

Vietnam – ein Annäherungsversuch

Diese Zeilen entstehen auf dem Weg nach Laos. Einen Monat waren wir in Vietnam, in den Orten Hanoi, Tràng An und Hoi An, in der Region Ninh Binh. Gerade genug Zeit, um sich diesem Land etwas anzunähern, etwas. Es bleibt ein Fragment, ein Bruchstück, unvollendet und der Eindruck, dieses Land zu früh wieder zu verlassen. „Die Herausforderungen, die das vietnamesische Volk im Lauf der Geschichte meistern musste, sind so groß wie die höchsten Berge.“, aus „Der Gesang der Berge“ von Phan Quế Mai, Nguyễn. Im Januar 2025 berichten die vietnamesischen Medien, dass Hanoi die am stärksten luftverschmutzte Stadt der Welt sei. Die kommunistische Regierung werde nun gegensteuern und den Anteil der Elektrofahrzeuge drastisch erhöhen. Dem Beispiel Chinas folgen, heißt es. Der vietnamesische Autobauer Vinfast möchte, dass der neue Elektrokleinwagen VF 3 das „Nationalfahrzeug“ der Vietnamesen werde. Der VF 3 ist robust, 3,20 Meter lang, der Innenraum ist minimalistisch. Fünf Leute passen rein. Erst die Chinesen, dann die Mongolen, dann die Franzosen, dann die Japaner und schließlich die Amerikaner. Und viel Mist, den die Vietnamesen einander …

Pho

Die Pho (ähnlich ausgesprochen wie das englische Fell, also „fur“, wobei man das r fast verschluckt) stammt ursprünglich aus Hanoi, also aus dem Norden von Vietnam. Ihr Name leitet sich möglicherweise von dem französischen Pot au feu ab. Die Basen der Pho und des Pot au feu stehen mindestens fünf Stunden auf dem Herd, sie sind dadurch wesensverwandt. Es ist morgens in Hoi An, während ich diese Zeilen schreibe. Die Stadt in Zentralvietnam hat zwei große Märkte. Auf dem einen in der Altstadt, mit seiner Markthalle, stoppen die Busse mit den Touristen von den Kreuzfahrtschiffen. Die Busse sind durchnummeriert, Aida 17 usw. Dennoch mögen wir diesen Ort, dazu später mehr. Heute Morgen sind wir auf dem zweiten Markt. Hier verlieren sich nur wenige Fremde. Auf diesem Markt steht ein Schuppen, in dem Schuppen eine Garküche, betrieben von Mutter und Tochter. Hier gibt es nur eine Suppe, eine Pho, für umgerechnet 1,60 Euro, Einheimische zahlen 1,20. Tourizuschlag. Es ist Frühstückszeit. Die Brühe in einem großen Topf mitten im Schuppen, kräftig, pikant, leichte Schärfe. Auf meinem Tisch …

Mrs. Ha oder ausgerechnet Hoi An

Wir sind tagsüber mit dem Zug von Hanoi nach Da Nang unterwegs, von dort geht es weiter nach Hoi An. Die Fahrt auf der berühmten Strecke Hanoi – Saigon dauert rund 17 Stunden, für 750 Kilometer. Jede Bahnfahrt hat ja so ihre nationalen Besonderheiten: In Vietnam werden vor jedem Stop mehrere Lieder im Zug gespielt. In meinen Ohren klingen diese unfassbar laut und kitschig. Die Vietnames:innen allerdings wiegen ihre Köpfe zu der Musik. Überhaupt ist der Kauf von Kopfhörern mit stabilem noise cancelling eine absolut notwendige Anschaffung für Bus- und Zugfahrten, auch in Vietnam. Und: In dem besonderen Speisewagen erhalten wir einen Klumpen Reis mit ein paar Stücken zähem Fleisch, Soßen aus Plastikflaschen, warmes Bier und dazu Eiswürfel. Womit galant zum eigentlichen und unendlichen Thema dieses Beitrages übergeleitet wäre, der Küche in Vietnam… Die richtig schlecht sein kann, trotz ihres Rufes eine der besten der Welt zu sein. Neele ist noch mit uns und Vegetarierin, was die Sache deutlich erschwert. Auf dem Land kann einem dann schon passieren, dass es so richtig trostlos wird. Auch …