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Yamatoya

Im „Yamatoya“ hört man Jazz, nicht live, sondern vom Plattenspieler. Und man trinkt Whisky. Von Whisky habe ich absolut keine Ahnung, ich frage deshalb den Besitzer nach einem japanischen. Seine Empfehlung ist eindeutig und sehr samt. Der alte Mann wählt die Scheiben aus den Tausenden im Raum und legt sie auf die beiden dicken Plattenspieler, vermutlich seit Jahrzehnten genau so, eine schöne Bewegung. Wieder Miles. Und Joe Sample und das Warne Marsh Quintet. Wir sind nur zu zweit, lesen und hören, kein Wort. Später kommen noch eine junge Mitarbeiterin und offensichtlich ein Stammgast hinzu. Dieser wünscht sich Louis Armstrong, wippt leicht zur Musik, trinkt einen Whisky und verschwindet wieder. In den Regalen steht vermutlich das gesamte Programm von Blue Note, viel ECM und viel, viel mehr. Dicker roter (glaube ich) Teppich, riesige alte Boxen, eine Patina der 50/60/70er, jedenfalls letztes Jahrhundert. Wir hören John Coltrane, Bill Evans und „Don’t Explain“ von Billie Holiday und wenn ihr mal in „Summertime“ von Art Pepper reinhört, dann könnt ihr euch die Stimmung im „Yamatoya“ gut vorstellen. Oder vielleicht …

Fuyuco

Schwer sind sie zu finden, die Eingänge der Restaurants, Bars oder Clubs hier in Kyoto, sie sind nie offensichtlich, zumindest für mein Auge. Auch das „Candy“ versteckt sich. Deshalb und weil es regnet, kalt und dunkel ist, meine Fahrradkette dringend Öl braucht und ich mich erst wieder an den Linksverkehr gewöhnen muss, komme ich zu spät. Dennoch bin ich nur der dritte Gast und Fuyuco begrüßt mich persönlich. Der Barkeeper, mit langen grauen Haaren, schwarzer Maske und schwarz gekleidet, verschwindet fast im Dunklen hinter Unmengen an Whiskeyflaschen und spricht kein Wort Englisch. Wir einigen uns irgendwie nach mehreren Versuchen auf ein Bier. Fuyuco spricht Englisch, ähnlich schlecht wie ich. Sie lebe gleich um die Ecke und liebe Kyoto, erzählt sie. Ah, aus Deutschland, aus Bremen. „Ah, the town musicians“. Sie übersetzt dem Barkeeper und den beiden anderen Gästen. Und alle nickend: „Ah, the town musicians“. Die Ur-, Ur-, Urgroßmutter von Gast Zwei käme aus Deutschland, sie wisse aber nicht woher, übersetzt mir wiederum Fuyuco. Sie habe vor kurzem einen hervorragenden deutschen Film gesehen. „Wie war …

Miles

Das „Kazenone“ ist eine Bar um die Ecke oder mehr eine Kooperative. In einer Seitenstraße, klein, von außen kaum erkennbar. Wir trinken heißen Shochu, ein Schnaps aus Süßkartoffeln. Daisuke macht Oden, ein Gericht der Winterzeit: Ei, Winterrettich, Teufelszunge und Chikuwa in wenig Brühe. Wir plaudern über Deutschland und Japan, über Perfect Days von Wim Wenders, über Trump, über Jugendherbergen. Über besondere japanische Drucktechniken. Mir wird die Kyoto-Schule vorgestellt, die in Japan erstmalig die Auseinandersetzung mit der westlichen Geistestradition beginnt und das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und wir feiern einen Geburtstag. Draußen regnet es, bei null Grad. Wir wechseln zu einem umwerfenden Sake. Und ja, ich rauche seit fünf Monaten meine erste Zigarette, eine. Meine Körpergröße beeindruckt. Finger- und Armlängenvergleiche sind da unbedingt notwendig. Und wir hören Miles, von Vinyl. Keine Musik passt besser zu diesem Abend.

Keihan Main Line

Vom Kansai-Airport mit der Nankai-Kuko Line bis zur Tengachaya Station, von dort mit der Sakaisuji Line bis zur Kitahama Station, weiter mit der Keihan Main Line bis zur Demachiyanagi Station. Japan begrüßt mich mit einer wunderschönen Bahnfahrt heraus aus der Bucht von Osaka bis nach Kyoto. Die Fahrt dauert zwei Stunden und spätestens als ich an der Kitahama Station in die Keihan Main Line umsteige, bekomme ich einen ersten Eindruck von japanischer Ästhetik und Lebensweise. Wir gleiten durch die Landschaft in einem Wagon der Elegant Saloon 8000 Series. Öffnen sich leise die Türen, hört man dezente Musik an jeder Station, Vogelgezwitscher. Die Menschen sprechen leise miteinander. Ein lautes Handygespräch wäre hier undenkbar, das merkt man sofort. Die Durchsagen werden durch die Polster gedämpft. Der Schaffner trägt die berühmten weißen Handschuhe und bewegt sich elegant durch die Gänge. Auf dem Boden fällt ein Stück Plastik auf. Sabi ist ein Ideal japanischer Ästhetik und meint die Schönheit natürlicher Patina und Alterung oder besser: die Schönheit im Laufe der Zeit. Durch den Gebrauch der Dinge werden sie schöner. …

Morgengrauen

Die Beiden tanzen eher mit ihren Reinigungsmaschinen durch den Flughafen, flirten über ihre schwarzen Masken hinweg, immer dann, wenn sie sich mit ihren Geräten wieder begegnen. Die mögen sich so richtig. Ein junges Paar, schöne Bewegungen und viel Freude, laotisch. Bi ist gerade abgehoben in Richtung Heimat und ich habe noch einige Stunden vor mir, hier im kleinen Flughafen von Vientiane. Neun Stunden genau, bevor mein Flug geht. Draußen 38 Grad, drinnen fast kühl. Auf dem großen Bildschirm läuft Tennis, die Austin Open. Eine Jessica Parker freut sich gerade über ihren Sieg. Die Balljungen stehen Spalier. Pokalübergabe, Dankesrede. Freudentränen. Alles ohne Ton. Danach ein Radrennen durch die Wüsten von Oman. Das hat schon fast was Meditatives. Neben mir zwei quicklebendige und redefreudige Frauen aus Deutschland, mein Alter. Mit mir kann man ja so schlecht einfach nur plaudern. Dabei würde ich gern, kann aber nicht. Ich beherrsche diese Kulturtechnik nicht. Ein großes Schauspiel, ein großes Tohuwabohu, ein Kommen und Gehen bis tief in die Nacht. Die verschiedenen Teams des Flughafens scheinen mir nach den Stunden vertraut, …

Land geschafft

Es waren noch sechs weiße Blätter übrig von diesem Block. Das Papier hatte meine Mutter mir vor vielen Jahren geschenkt. Ein eigenwilliges Papier, saugstark und mit rauer Oberfläche. Sechs Blätter ergeben drei Diptychons. Es ist heiß. Die Fensterscheiben scheinen zu glühen, die Klimaanlage schafft es nicht mehr. Das Land schafft mich, also werden es LandSchaften. Und dann war ich in erhitztem Schwung, zwei bereits bemalte Blätter noch mal umgedreht für letzte Reste.

Tage in der Ruelle 4

Es war ja von vornherein klar, in dieser Wohnung würden wir die letzten sieben Tage unserer Reisezeit in Laos sein. Klar war auch, dass es laut Wettervorhersage am Tag nach unserer Ankunft regnen sollte. Und so kam es. Es fing schon nachts an und regnete den ganzen Tag fast ununterbrochen durch. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Diese himmlische Erlaubnis, nirgendwohin zu müssen, sondern einfach zu Hause sein zu können und den über Wochen angesammelten Eindrücken irgendwie Ausdruck zu verschaffen. Meist ist es so: Bevor mich der Horror Vacui überkommt, fange ich lieber mit Blättern an, auf denen schon etwas ist, so dass die Angst vor dem leeren Papier gar nicht erst groß werden kann. In einem Laden mit einem kuriosen Angebot von Pflanzenschutzmitteln über Zinnkellen bis hin zu Gongs und Gummistiefeln habe ich Papiere mit Silberaufdruck gefunden. Wofür die eigentlich sein sollen, blieb unklar. Es gab nur einen 500er Stapel, aber die Frau war so nett, mir 10 Blätter zu verkaufen. Gerade gut, um sich warm zu kritzeln in irgendeiner organischen Sprache. Durch den …

Imperial

Wir sind umgezogen, drei Straßen weiter in die Ruelle 4, weiterhin im zentralen Stadtteil Haysok von Vientiane. An der Ecke unserer Straße gibt es eine Einrichtung der EU. „Let´s explore how the 27 countries of European Union say hello!“ klärt ein Plakat an der Außenwand auf. Alles nicht einladend und auf den ersten Blick irgendwie kurios, aus der Zeit gefallen. 50 Jahre nach Kriegsende ist Laos mit seinen gut 7 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen eines der ärmsten Länder Asiens. Seit der Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Laos noch einmal ärmer geworden. Das Land befindet sich in einer schweren Krise und steht kurz vor dem Staatsbankrott. Die Preise haben sich durch eine starke Inflation in den letzten Jahren verdoppelt. Deutschland hat Laos in den Jahren 2021-2025 mit rund 131 Mio. Euro unterstützt, im Rahmen der Strategie „Green Initiative“ der EU. Mit den Mitteln der EU über insgesamt knapp 600 Mio. Euro wird vor allem die Weiterentwicklung einer grünen und inklusiven Wirtschaft in Laos unterstützt. Vor ein paar Tagen war ein Vertreter der EU in Vientiane …

GEWEBE-proben

Die Frage nach den Verwobensein lässt mich nicht los. Ich lote Netzwelten im Linienfeld aus. Welche Bedeutung bekommen die Lücken, die Unwägbarkeiten? Wie verhält sich das Gewebe zu Bewegung und Raum? Erstickt ein Gewebe ohne Zwischenraum? Wie ist diese Beziehung? Ich mag die Lücke. Ja, sogar das Loch.