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Zeitungslektüre 2: In der Luft

The Times of India vom 14.11.2024. Jaipur: Der Jaipur International Airport hat vorgestern 17.768 nationale und 1.949 internationale Fluggäste verzeichnet, das war der „highest single-day traffic ever“. Jaipur: Wegen Smog in der National Capital Region (NCR) mussten gestern neun Flüge auf dem Weg nach Delhi nach Jaipur umgeleitet werden. Die Fluggäste beschweren sich in den sozialen Medien: „Wir stecken seit 4 Stunden im Flug QP 145 fest. Wir dürfen in Jaipur nicht aussteigen. Wir leiden im Flugzeug. Wir wollen was essen.“ In den letzten 12 Monaten haben die indischen Fluggesellschaften 1.700 Flugzeuge bei Airbus und Boeing bestellt. In den letzten 10 Jahren hat sich die Anzahl der regionalen Flughäfen von 70 auf 140 verdoppelt… Der Luftqualitätsindex AQI misst Ozon, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid. Er liegt heute in Jaipur bei 193 (ungesund) in Delhi bei 457 (gefährlich). Die Skala reicht nur bis 500.

Fegen, fegen…

Die fast 1,5 Milliarden Einwohner Indiens produzieren mittlerweile etwa ein Fünftel des weltweit anfallenden Plastikmülls, pro Jahr sind es 9,3 Millionen Tonnen. Die unfassbaren Mengen aller Arten von Müll sind überall, auf den Straßen und den Fußwegen, in Gräben, vor Häusern und in Flüssen, einfach überall! Vor allen Dingen der bunt und unvergänglich leuchtende Plastikmüll prägt zusammen mit den einhergehenden unangenehmen Gerüchen das Bild Indiens stark. Ein Vergleich der Plastikmüll-Produktion zu uns fällt zu unseren Ungunsten aus, denn wir knapp 80 Millionen Deutsche kamen 2023 auf 6,3 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle. Es gelingt uns offensichtlich nur besser, diese von den Straßen verschwinden zu lassen. Und gleichzeitig gilt: was nicht so leicht recycelt werden kann, verkaufen wir dann ins Ausland, oft nach Asien. Da kümmern sich dann die Ärmsten und unter ihnen auch Kinder unter in der Regel unwürdigen Umständen um die weitere Mülltrennung. Das ist in Indien nicht anders, hier sind in der Regel die „Dalits“, die Kaste der Unberührbaren zuständig für die Müllentsorgung – auch wenn es offiziell keine Kasten mehr gibt. Vor allem in …

Die 27-Stunden-Erfahrung

Bi ist für unsere Unterbringungen verantwortlich, ich für unsere Mobilität, so der Deal. Von Patna bis nach Jaipur sind es etwas über 1.000 Kilometer. Da alle Züge ausgebucht sind, fahren wir mit dem Bus. Ich habe einen A/C Sleeper für uns gebucht, einen Schlafbus mit Klimaanlage. Riskant. Das kann für den Mobilitätsbeauftragten Abzüge in der B-, wenn nicht gar A-Note geben. Fazit vorab: es war eine Erfahrung. Da auf den Voucher unterschiedliche Abfahrtsorte angegeben waren, was dem Mobi-Beauftragten zu spät auffiel, standen wir zunächst am Rande einer sechsspurigen Ausfallstraße. Professionelle Mobis bleiben hier gelassen: Eben ein Tuk-Tuk finden und dem Fahrer den Weg durch Patna weisen, weil er die Schrift auf meinem Handy nicht lesen kann. Geht doch. Der richtige Abfahrtsort ist die Zentrale von „Panwar Travels“, eine abgerockte Garage. Auf dem Firmenschild zeigt mir Bi das Bild eines sehr modernen Busses. Der Bus kommt ca. 1 Stunde zu spät und vor uns steht ein Fahrzeug, das, nun ja, fährt. Was will man mehr. Was nun folgt, wiederholt sich später an jeder Einstiegsstation. Ein mächtiges …

„Sanja dee…?“

Dass etwa 40 Leute abends vor dem „Bansi Vihar“ auf eigens aufgestellten Plastikstühlen sitzen und warten, ist normal – und im Restaurant sind natürlich die 150 Sitzplätze komplett besetzt. Die beiden wichtigsten Figuren sind der Türöffner und der Tische-Vergeber, der gleichzeitig auch der Abhol-Namen-Rufer ist, offensichtlich kann man hier auch Essen bestellen. „Sanya dee?“ oder „Ramon dee?“ oder so ähnlich klingt das, was er ruft. Im Idealfall springt jemand auf und kommt dann mit Taschen voller eingepackter Speisen aus dem Laden wieder raus. Sehr gute Kritiken hat das Restaurant von über 8000 Besuchern bekommen. Deswegen hat Tho es für uns ausgewählt. Außerdem liegt es nah an unserem Hotel. Ehrlicherweise sitzen wir zum dritten Mal vor dieser Tür und genießen das Warten bei angenehmen abendlichen 24 Grad bis wir eingelassen werden… na ja, ich schreibe währenddessen an diesem Artikel, weil ich ja gar nicht so gut warten kann. Berühmt ist das Bansi für seine „Dosas“, das sind hauchdünne knusprige Teigfladen, gefüllt mit unterschiedlichen Zutaten, zum Beispiel Kartoffeln, Linsen oder Käse. Dazu gibt es zwei kleine Schüsselchen …

Ein Überlebender

Patna liegt am Ganges. In der Stadt leben etwa 1,8 Millionen Menschen, in 25 Jahren sollen es ungefähr 5,1 Millionen sein. So in etwa. Wir waren heute am Ganges, am Mahatma-Gandhi-Ghat. Ghat nennt man hier eine zum Fluss hinunterführende Treppe. Auch hier steht ein kleiner Tempel. Der Fluss ist nur noch eine fließende Kloake, nur noch ein Stück Infrastruktur, einer der dreckigsten Flüsse auf der Erde. Vermutlich aus Platzgründen hat man in den Ganges hinein eine Hochstraße gebaut, vier- bis sechsspurig. Um die Ecke wird schon die nächste Hochstraße durch die Stadt gezogen, eine Metrolinie entsteht. Und dennoch schwimmt nunmehr seit 23 Millionen Jahren der Gangesdelfin durch diesen mächtigen und heiligen Fluss. In der Mythologie der Hindus reitet die Göttin Ganga auf einem Flussdelfin. Gangesdelfine sind praktisch blind, schwimmen auf der Seite und tasten sich mit ihrer Schwanzflosse am Grund entlang. Sie sind Einzelgänger und jagen über Echolotung. Sie haben eine sehr lange Schnautze, hervorstehende Zähne und blinde Augenhöhlen. 5.000 Exemplare sollen noch im Ganges leben. Ein Überlebender, trotz der Jagd auf sie, Staudämmen, Fabriken, …

Planänderung für den Sonnengott

Wir sind eingeladen zu einer Puja. Von Amal, der unser Hotel betreut. Er sagt, es sei ein speziell in diesem Teil von Indien gefeiertes Fest zu Ehren des Sonnengottes und der Natur, wir sollten unsere Abreise um einen Tag verschieben um das mit zu erleben. Zur genaueren Erläuterung schickt er den Link zu Wikipedia. Dort finden wir, dass die „Chhath Puja“ über 4 Tage dauert, dass verschiedene Rituale von der Reinigung über Fasten bis zur Opferung von Früchten und einem gemeinsamen Mahl dazu gehören. Heute, am 7.11. ist der 3. Tag, an dem der Untergang der Sonne rituell gefeiert wird. Also beschließen wir zu bleiben. Um 15:00 Uhr ist Treffen im Hof vor dem Hotel. Der Bruder, Amals 3jährige Tochter, seine Schwägerin, ein Cousin, ein Vater und ich weiß nicht wer noch alles aus der Familie kommen vorbei, die Verteilung auf die verschiedenen Autos geht lautstark und langwierig voran und irgendwann fahren wir tatsächlich los in Richtung Fluss. Der Niranja führt nur wenig Wasser und an beiden Flussufern sieht man Menschen und noch mehr Menschen …

Der Weg

Der Weg ins Zentrum von Bodhgaya dauert jeden Morgen 45 Minuten, zu Fuss. Er führt durch eine ländliche Gegend in die kleine Stadt hinein. Dieser tägliche Weg kurz nach Sonnenaufgang ist nicht schön, also nicht hübsch, nicht ästhetisch, nicht behaglich, nicht romantisch, nicht malerisch und nicht idyllisch. Er ist voll Müll, unfassbar viel Müll. Es ist schon frühmorgens laut, klar durch das Hupen, aber auch durch laute Musik in den kleinen Dörfern, aus Lautsprechern, die sich über das gesamte Land verquirlt. Warum nur? (Nachtrag: einen Tag später erfahren wir den Grund für die morgendliche Musik. Es ist Chhath Puja, ein viertägiges Fest der Hindus zu Ehren des Sonnengottes Surya, der der Erde Licht, Energie und Leben brachte. Dieses Fest wird vor allem im Bundesstaat Bihar gefeiert. Unser Vermieter hat uns auf dieses Fest am Ufer des Falgu River eingeladen. Also Planänderung. Wir bleiben noch eine Nacht hier). Der Weg ist gegensätzlich: Auf der einen Straßenseite polieren junge Hotelangestellte dicke, bereits strahlende, weiße SUVs, auf der anderen formen die Frauen Kuhfladen zum Trocknen. Wie fast wohltuend …

„Welcome to the land of enlightenment“

Das steht auf vielen großen, kitschig grellen Plakaten auf dem Weg nach Bodhgaya. Überraschenderweise wird damit Werbung gemacht für ein internationales Frauen-Hockey-Turnier. Wir landen in Bodhgaya mehr durch Zufall, weil das Dorf direkt neben Gaya liegt. Und das wiederum war der Ort, zu dem es noch Zugtickets gab. Dann stellt sich raus: es ist einer der wichtigsten Pilgerorte für die Buddhisten auf der ganzen Welt. Oh! Also hochgradig bedeutungsvoll! Also deswegen „enlightening“? Wie bitte darüber schreiben? Klappt nicht auf einmal, deswegen eine Annäherung in drei Wellen: 1. Schnuppern Am ersten Nachmittag werden wir von einem Elektro-Tuktuk-Fahrer von Tempel zu Tempel gebracht. Auch wenn die Gebäudeformen unterschiedlich aussehen, der Ablauf ist immer derselbe: vor dem Eingang Schuhe ausziehen, dann führt ein gepflasterter Weg zum eigentlichen Tempelbau. In der Mitte des Raums sitzt eine Buddha-Statue in Gold und bunten Farben, mit Ornamenten verziert und Opfergaben drumzu. Wir stehen still und staunen und wissen noch nicht so recht… Wo sind Anknüpfungspunkte? Wie lässt sich überhaupt eine Annäherung bewerkstelligen? Der Reiseführer gibt äußere Daten her… aber was ist dieses …

Vande Bharat Express

Morgens um fünf standen wir an der Straße, um den ersten Bus zu erwischen. Dann kommt aus dem Dunkeln ein Auto. Ein Mann steigt aus: „Howrah Railwaystation? 200 Rupien!“ Wir steigen zu und rollen dann zu fünft schweigend in dem kleinen Wagen quer durch die noch dunkle Stadt. Unser Abschied von Kolkata. Welchen Zug wir denn hätten, fragt mich der Fahrer. Ich erzähle etwas holprig von Gaya, 6:50 Uhr Abfahrt und so. Keine Reaktion. Der Fahrer schmeißt seine Handy an und sucht akribisch. Wir vier anderen achten besorgt auf die Straße. Dann zeigt er mir eine Übersicht der abfahrenden Fernzüge nach hinten in den Fond, dabei einem Tuk-Tuk etwas spät ausweichend. All die Züge haben einen Namen. Und ich sehe unseren Zug. Ich so: „Vande Bharat Express“. Und er so: „0h, Vande Bharat! Ok. It is the Old Howrah“. Jetzt schien alles geklärt. Dass Züge einen Namen haben und diese auch noch präsent sind, finde ich ziemlich cool, klingt ja auch fast wie „Orient-Express“ unser „Vande Bharat Express“. Zwei Tage habe ich gebraucht, um unsere …

Um die Ecke: Taj Biryani

Unser Appartement in Kolkata liegt im 5. Stock. Der kleine Fahrstuhl hat zwei Gittertüren, die zur Seite geschoben werden müssen. Dann ruckeln wir mit ihm nach unten, direkt in die dunkle Einfahrt des Hauses. Tritt man aus dem Haus ins Tageslicht, auf die Straße, macht es Bähm! Die etwa sechsspurige Lenin Saranin Road trifft auf zwei ebenso breite Straßen. Dieses Inferno 50 Meter vor unser Haustür ist Moulali Crossing und direkt an ihr befindet sich das Restaurant Taj Biryani, unser Imbiss um die Ecke. Offen zu allen Straßenseiten, hässlich, dreckig und es gibt nur wenig von dem, was auf der Karte steht. Unsere ersten Essen dort waren die üblichen Biryani: Vor dem Garen angebratener Reis mit Kartoffeln und Fleisch vom Huhn oder Lamm. Eigentlich muss man ein Biryani mit den Händen kräftig mischen, fast kneten. Dann entsteht mehr Sauce. Wir hantieren aber immer noch umständlich mit Plastiklöffeln. Bi mag die Rolls dort, hat etwas vom Sielwalleck in Bremen. Erste Gesprächsversuche, eigentlich mehr Zeichensprache. Der Chef mag uns und auch unser Trinkgeld, wir ihn und sein …