Alle Artikel in: Reisenotizen

Hotel Paramount Palace

Das kleine Pushkar liegt um einen See im Vorland der Wüste Thar im Aravalligebirge. Die Stadt ist indienweit bekannt als heiliger Ort. Jede/r Hindi sollte in seinem Leben den einzigen Brahma Tempel in Indien besucht haben, hier in Puskhar. Hier treffen Gläubige, Tourist:innen und internationale Freaks aufeinander. Heiligkeit neben Yoga, Raves und Kameltouren in der Wüste. Der Ort ist auch ein Basar. Überraschend schöne Produkte in den Gassen: Schmuck, Kleider, Hemden, Taschen, Hosen, Tücher. Westliche Wiederverkäufer. Restaurants, Hotels, Cafés, sogar ein französisches mit Croissants. Wir verbringen hier sieben Tage und Nächte, in erster Linie oben in unserem „Hotel Paramount Palace“. Das Paramount liegt über der Stadt, „the best view in town“ steht am Eingang, hoch am Hang gelegen, ein verwinkeltes Haus, enge Treppen, Zimmer mit kleinen Balkonen, Rundbögen und Säulen. Die Wände leuchtend blau, grün, pink und orange gestrichen. Die Dachterrasse mit schönen und kitschigen Tüchern abgehängt. Hier sind wir eigentlich immer und die einzigen Gäste. Hier chillen, spielen (unser sehr ernsthafter Scrabblewettbewerb hat begonnen, ich führe 2:1) und essen wir. Der erste Ort der …

Im Gedenken…

Ein Beitrag für alle, die mit der CoreDynamik und Bernhard Mack verbunden sind. Heute ist der 21. November 2024. Der Geburtstag von Bernhard, er wäre heute 76 Jahre alt geworden. Ich denke an ihn als Musik Liebenden, der sich lauschend in ungezählten Stunden durch die Weltmusik bewegte… … und der damals unsere Ausbildungsgruppe mit folgendem Stück beginnen ließ, das für ihn vermutlich auch ein persönliches Mantra war: „I did it my way“ von Frank Sinatra. Aus dem Moment improvisierend legte er die Musik für Atemreisen auf, genau abgestimmt auf die Reisegruppe und das Geschehen im Feld. Oft brachte er sich selbst als Musiker ein. Seine Stimme und der Ruf seiner Flöte, der Sound von Saxophon und Digderidoo bis hin zu den unterschiedlichen Tönen seiner großen Sammlung von beeindruckenden Gongs waren wundervolle Klanggeschenke. Bernhard wollte Räume öffnen, eintauchen, begleiten – auf allen möglichen Wegen… Ich denke da an ihn als genialen Witze-Erzähler. Hatte er den Eindruck, eine Gruppe sei zu angespannt, dann eröffnete er die Runde mit einem Witz… Einige werden sich erinnern, wie er im …

Wohnen

Neben den tradierten und idealtypischen Vorgaben des „Vastu Shastra“ für die Baukunst (s. Artikel: Himmel, Herrschaft, Haveli) gibt es in Indien noch eine wesentlich stärker verbreitete Form des Bauens, insbesondere beim Wohnungsbau. Sowohl auf dem Land als auch in der Stadt ist ein Betonskelettbau meist die Grundlage des Gebäudes. Die Freiflächen werden mit Ziegeln ausgemauert. Die Stützstreben für den Betonguss der Etagen sind in der Regel Bambus- oder Holzstäbe. Häufig sehen wir mehrstöckige Gebäude, bei denen das Erdgeschoss schon bezugsfertig ist, der erste Stock aber noch auf Fertigstellung wartet. Oder Teile eines Gebäudes sind gemauert, andere verputzt und wieder andere sogar angestrichen. Es scheint auch hier alles ein Prozess des Werdens und Vergehens zu sein, sicherlich auch in Abhängigkeit von den finanziellen Möglichkeiten. Kirtee Shah, ein indischer Architekt, schätzt, dass über 70 % aller Wohneinheiten in Indien ohne Architekt, Baugesellschaft, Bauplan und Genehmigung entstehen. Und dann gibt es natürlich auch insbesondere in den Städten Neubauten, bei denen mit Fertigbauteilen gearbeitet wird und sogar die Verkabelung unter Putz angelegt wird. Und wie immer in Indien, findet …

Vergangenheit – Gegenwart

Sashi Tharoor (geb. 1956) hat 2016 eine Abrechnung mit der Kolonialherrschaft der Briten veröffentlicht. Die Grundthesen seines Buches „Zeit der Finsternis“ hat er vor neun Jahren in einer Rede formuliert, die millionenfach geklickt wurde und in Indien mittlerweile Schulstoff ist. Diese 15 Minuten (auf englisch) lohnen sich: https://youtu.be/f7CW7S0zxv4?si=KyYnRwWCvT9a_i08 Zweimal war ich bisher außerhalb von Europa. Mit meinem Sohn Levin in Namibia und jetzt in Indien, beides Länder mit heftiger kolonialer Vergangenheit. In Namibia schien uns der Völkermord an den Hereros und Namas Teil der aktuellen politischen Diskussionen im Land zu sein: Die Zahlung von Reparationen bzw. Wiederaufbauhilfen durch Deutschland, die Rückführung von Raubkunst, die Rückführung von Gebeinen, die Entschuldigung von Deutschland durch Bundespräsident Steinmeier und die Anerkennung des Völkermordes. Die historische Bewertung der brutalen deutschen Herrschaft schien uns dabei im wesentlichen unstrittig. In Indien scheint der öffentliche Diskurs an einer anderen Stelle zu stehen. Sashi Tharoor beschreibt die Folgen der britischen Herrschaft in Indien zwar nicht grundsätzlich neu, aber die Wucht ihrer Zerstörung und Vernichtung. Er wendet sich gegen Betrachtungen, die immer wieder die positiven …

Fremd sein 2: Zeit

Vorab kommt hier aufgrund einiger Anfragen ein kleiner Technik-Einschub: Falls du bisher den Eindruck hast, unsere Artikel brechen mittendrin ab, dann tippe nochmal auf die Überschrift und du kommst zum gesamten Artikel mit allen Bildern und mit einem Ende:) Wir sind jetzt einen Monat in Indien. Manches ist mir vertraut geworden, wie der anmutige Gang der Frauen in ihren Saris, die Schreine für die Götter an jeder Ecke, die bunten Märkte und köstlichen Garküchen oder das holperige Fahrgefühl in den Tuktuks… An Einiges will ich mich nicht gewöhnen: lautes Hupen, speiende Männer. Das Fremde bleibt spannend! Langsam wird mir deutlich, wie tief die chronologische Zeit-Wahrnehmung mir in den Knochen sitzt! Mit welcher Selbstverständlichkeit ich davon ausgehe, dass etwas zu einem angegebenen Zeitpunkt tatsächlich beginnt. Und dass ein Ereignis auf das andere folgt im geordneten Nacheinander und in sortierten Ursache-Wirkungs–Verhältnissen. Und wie oft wird es zeitlich eng bei mir, weil ich einen Punkt nach dem anderen abarbeite und Ungeplantes nicht vorgesehen ist, bzw. eher als Störung wahrgenommen wird. Das Leben in einer linearen erlebten Zeitstruktur mit …

Tempelnachmittag mit Kotztüte

An einem Nachmittag landen wir bei unserem Spaziergang durch Jaipur in einem weitläufigen Garten. Still ist es hier, als wäre die Stadt plötzlich verschwunden. Auf der Wiese im Kreis Karten spielende Männer und Affen. Ganze Horden. Eine weitläufige Tempelanlage am Rande des Gartens. Die Menge der Schuhregale verrät, dass sie groß sein muss. Wir betreten eine Halle, in der eine entspannte Atmosphäre herrscht. Zum ersten Mal seit ich in Indien bin ein Raum, in dem fast ausschließlich Frauen sind. Sie sitzen oder lagern gemütlich in Gruppen am Boden, plaudern, ruhen, zeigen sich gegenseitig ihre Einkäufe. Einige wenige auf Stühlen. Sieht so aus, als würde hier irgendwann eine Veranstaltung stattfinden. Ein junger dürrer Mann geht mehrfach zu den Frauengruppen und will, dass sie aufstehen und sich auf die Stühle setzen. Warum das sein soll? Sie lächeln ihn amüsiert an, aber es rührt sich keine. Der junge Mann holt einen dicken Priester dazu, der versucht Kraft seiner Autorität mehr zu bewirken, löst bei den Frauen aber auch nur die Frage aus, wozu sie umziehen sollen. Ein Mann …

Für Ben, Michael und alle weiteren Kulinarix

Mittags an einer Hauptstraße in Jaipur, angenehme trockene 30 Grad, wolkenloser Himmel sowieso. Eine Garküche nach der anderen steht am Straßenrand. Hier in Jaipur ist fast alles vegetarisch. In unserem Hotel ist der Fleischverzehr untersagt. Das war in Kolkata anders. Hochbetrieb. An einigen Ständen stehen deutlich mehr Frauen, an anderen mehr Ältere. Es gibt eindeutige Präferenzen. Man wählt aus. Wir entscheiden uns für zwei Jungs, die mit der Hand einen Kartoffelbreikloß formen und diesen frittieren. Danach wird er zerkleinert, darauf kommen zwei Soßen und aus einem kleinem Gefäß noch ein Esslöffel einer dunklen Flüssigkeit (mir scheint sie ist das Geheimnis), frische Zwiebeln und Koriander. Das alles geht schnell, in 30 Sekunden haben wir unsere Schalen in der Hand. Der absolute Hammer: das Krosse zusammen mit dem Kartoffelbrei, der die Soßen aufzieht. Die Schärfe genau richtig für die Hitze und dieser Duft vom Koriander. Und so geht das dann weiter. Die nächste Variante ist deutlich milder, Anis, ein Hauch von Kardamon. Curry. Während in Kolkata und Patna eigentlich kein internationaler Tourismus existiert, hat man hier in …

Himmel, Herrschaft, Haveli…

Früh morgens am 13. November fahren wir mit dem Bus nach Amber, dem Herrschaftssitz der Mogul-Dynastie seit dem späten 16. Jahrhundert. Das beeindruckende Fort liegt auf den Hügeln in der Nähe der Stadt und ist mit seinen rötlichen Mauern und prachtvoll geschwungenen Baldachin-Dächern eines der touristischen Highlights in dieser Gegend. Während wir noch im Dorf am Hang bei einem Lassi im Café sitzen, fahren jede Menge Jeeps mit Touristen an uns vorbei die Straße zum Fort hinauf.  Vielleicht doch noch einen Chai trinken? Und dann finde ich im Café ein Buch über Architektur und Stadtplanung von Jaipur und tauche ab… Als 1792 der Mogulfürst Jai Singh II den Brahmanen Vidhyadar beauftragt die Stadt Jaipur anzulegen, wendet dieser für die geplante Stadt das aus der fast 5000 Jahre alten vedischen Tradition stammende Gestaltungsprinzip des „Vastu Shastra“ an. Durch diese Bauprinzipien sollte die kosmische Ordnung eine irdische Analogie finden. Es gibt bei „Vastu Shastra“ Hinweise, wie ein Haus, ein Tempel, eine Stadt, angeordnet und ausgerichtet werden sollen. Komisch, wenn ich in den letzten Tagen vom Rooftop …

Zeitungslektüre 2: In der Luft

The Times of India vom 14.11.2024. Jaipur: Der Jaipur International Airport hat vorgestern 17.768 nationale und 1.949 internationale Fluggäste verzeichnet, das war der „highest single-day traffic ever“. Jaipur: Wegen Smog in der National Capital Region (NCR) mussten gestern neun Flüge auf dem Weg nach Delhi nach Jaipur umgeleitet werden. Die Fluggäste beschweren sich in den sozialen Medien: „Wir stecken seit 4 Stunden im Flug QP 145 fest. Wir dürfen in Jaipur nicht aussteigen. Wir leiden im Flugzeug. Wir wollen was essen.“ In den letzten 12 Monaten haben die indischen Fluggesellschaften 1.700 Flugzeuge bei Airbus und Boeing bestellt. In den letzten 10 Jahren hat sich die Anzahl der regionalen Flughäfen von 70 auf 140 verdoppelt… Der Luftqualitätsindex AQI misst Ozon, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid. Er liegt heute in Jaipur bei 193 (ungesund) in Delhi bei 457 (gefährlich). Die Skala reicht nur bis 500.

Fegen, fegen…

Die fast 1,5 Milliarden Einwohner Indiens produzieren mittlerweile etwa ein Fünftel des weltweit anfallenden Plastikmülls, pro Jahr sind es 9,3 Millionen Tonnen. Die unfassbaren Mengen aller Arten von Müll sind überall, auf den Straßen und den Fußwegen, in Gräben, vor Häusern und in Flüssen, einfach überall! Vor allen Dingen der bunt und unvergänglich leuchtende Plastikmüll prägt zusammen mit den einhergehenden unangenehmen Gerüchen das Bild Indiens stark. Ein Vergleich der Plastikmüll-Produktion zu uns fällt zu unseren Ungunsten aus, denn wir knapp 80 Millionen Deutsche kamen 2023 auf 6,3 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle. Es gelingt uns offensichtlich nur besser, diese von den Straßen verschwinden zu lassen. Und gleichzeitig gilt: was nicht so leicht recycelt werden kann, verkaufen wir dann ins Ausland, oft nach Asien. Da kümmern sich dann die Ärmsten und unter ihnen auch Kinder unter in der Regel unwürdigen Umständen um die weitere Mülltrennung. Das ist in Indien nicht anders, hier sind in der Regel die „Dalits“, die Kaste der Unberührbaren zuständig für die Müllentsorgung – auch wenn es offiziell keine Kasten mehr gibt. Vor allem in …